wäre es nicht so traumatisch, könnte man fast drüber lachen

Content Note: Diskriminierung psychischer kranker Menschen, Erwähnung von Dämonen, Homophobie

ich hab die bibel geschenkt bekommen. lag immer auf dem nachttisch. wurde dazu angehalten, sie zu lesen, wenn es mir schlecht geht. gott spricht dadurch zu dir, haben sie immer gesagt. wie oft habe ich dieses verdammte buch aufgeschlagen und gehofft, etwas darin zu finden, was mich nicht schlecht oder wie eine versagerin fühlen lässt. auch mein beten war optimierungsbedürftig. hab nur leise vor mich hin meditiert, keine connection, nichts. gott war wohl nicht immer erreichbar. laut konnte ich nicht beten. viel zu unangenehm; schweißausbrüche, jedes wort im hals stecken geblieben, stress. oft wurde für mich gebetet. von mama, von papa, vom pastor, von gemeindemitgliedern, von fremden gurumenschen. manche konnten sogar in zungen beten, das war dann schon fortgeschrittenes level. eine mischung aus faszination, bewunderung, fremdscham und übelkeit überkommt mich jedes mal, wenn ich an dieses fantasiegemurmel mit dadaismuscharakter denke. habs meiner mutter nie gesagt, ihr zuliebe immer über mich ergehen lassen, wenn sie damit anfing. wollte sie nicht vor den kopf stoßen. wollte vollkommen rein von ihr stehen, nichts was uns trennt, keine sünde zwischen uns haben und sie für immer lieben. hab ihr alles gebeichtet. hab abbitte geleistet. sie war gnädig, hat mir versichert, gott liebt mich trotzdem, er will nur, dass ich damit aufhöre – um meinetwillen – das würde mir nicht gut tun und das wisse er. er weiß sowieso alles. er ist alles. er sieht alles, immer. kann mich vor seinem blick nicht verstecken. wie adam und eva, die trottel. dachten, die könnten ein geheimnis draus machen. tja, war wohl nichts.

naja, jedenfalls hab ich mit mama auch über die träume geredet. albträume versteht sich. über die grausame große, weiß verschleierte dame, über die fratzen und dämonen, nie enden wollende ausflüge in die hölle, über das wegrennenwollen, aber nur auf der stelle treten, die vielen tode, die ich begleitet habe, die schlafparalysen.
mama hat immer zugehört, allerdings glaubt sie nicht an psychische krankheiten, sondern glaubt, dass es vielmehr dämonen sind, die ich habe eintreten lassen (durch sündhaftes verhalten) und die nun ihr unwesen treiben dürfen. deshalb: beten. immer wieder danke und bitte sagen. aber immer mehr danke als bitte, sonst wäre es unverschämt. mama hat das auch für mich gemacht, ist ja ihre pflicht als mutter. klar war es ok, dass ich sie liebe. dass ich meinen vater liebe. die beiden hatten uns ja auch lieb. aber das war irdisches kleinvieh. wirklich wichtig wäre es, dass wir gott lieben. dass er immer an erster stelle steht, für jeden von uns. das war auch der letzte wunsch meines vaters für mich, kurz bevor er verstarb. wollte ihn glücklich machen, wollte ihm diesen wunsch erfüllen und hab mich taufen lassen. nicht wie normale menschen, nein. sondern mit 16 jahren in einem dreckigen baggersee und nem weißen kleidchen an, umzingelt von einer handvoll leuten, die hippe „worship“ musik, auf der gitarre begleitet, mitträllerten und für unwissende wahrscheinlich eher nach ner verrückten hippiebande aussahen.

apropos feierlichkeiten: auf der beerdigung meines vaters versuchten die gemeindemitglieder uns näherzubringen, dass er doch jetzt bei gott sei, wo jede*r von uns hingehöre, da sollten wir uns doch für ihn freuen. das war sowieso alles gottes wille, der war es ja eigentlich immer. ob er eine chemo macht oder nicht, ob er medikamente nimmt oder nicht, ob er schließlich jede weitere medikation und intervention verweigert oder nicht, alles gottes wille. und am ende war es eben gottes wille, dass mein papa genug zeit mit uns, mit mir hatte.

eigentlich fast ein bisschen dreist, was die menschen so alles meinen, im namen gottes zu tun… frauen schlagen, kinder schlagen, kinder verstoßen weil nicht cis geschlechtlich und heterosexuell and so on… manchmal tut mir dieser gott fast ein bisschen leid dafür, was man ihm alles in die schuhe schieben will. ich bin jetzt selbst mutter, ich kann verstehen, dass eltern ihren kindern ihre werte vermitteln wollen. aber ich kann nicht verstehen, wieso man kleinen kindern erzählt, dass es dämonen gibt, die manche menschen sehen und foltern können und die hölle, in der sich alle sünder nach ihrem tod versammeln und wo diese ein elendiges, unendliches schicksal erwartet.

abgesehen von dem familienalltag, bestehend aus „komm herr jesu, sei du unser gast…“ vor dem essen, theologisch fragwürdigen, sogenannten bibeltreuen appellen an die lebensführung und heiligen sonntagen in abgerockten gemeinderäumlichkeiten gab es noch die familienausflüge zu tagungen und konferenzen. diese zwei wörter wecken nur leider ein viel zu intellektuelles und seriöses bild von dem, was dort abging. stundenlange, monologartige gehirnwäsche vom rednerpult, redner*innen gefeiert wie gott höchstpersönlich und in der lage, riesige hallen und kongresscenter zu füllen. alles ganz locker easy, obwohl hier und da doch dann noch etwas konventioneller (man will die hardliner ja auch noch in den eigenen reihen wissen) und zwischendurch: na klar, worship vom feinsten. alle diese lieder, ich hab sie mitgesungen, konnte sie irgendwann, ob ich wollte oder nicht, auswendig. nach dem singen kam der kindergottesdienst (endlich) und wir konnten uns altersgerechteren themen widmen. naja, nicht direkt altersgerechten themen, aber immerhin konnte ich malen und basteln. manchmal aber wurden wir kinder auch nicht betreut. dann bekamen wir das ganze schauspiel zu sehen. riesige räume voll mit stickiger luft, lautes schreien und zungengebete, chaos unterlegt mit musik zur trance. vorne, beim rednerpult, fielen menschen um oder lagen schon auf dem boden. zuckten, zappelten und schmissen ihren körper auf den untergrund. in extase, wurden befreit von ihrer last, schrien, krampften und weinten. man sagte mir, das sei was gutes und ich würde es verstehen, wenn ich älter wäre.

vielleicht war das die einzige wahrheit, die ich jemals gehört habe. denn tatsächlich, jetzt bin ich älter, endlich frei und verstehe es.

/ Irini

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