Vom Ignorieren, den Ausreden und der Uneinsichtigkeit
Als ich noch in der fundamentalen Gemeinde war, galt ich als besonders lieb. Man traute mir nichts Böses zu. Meine Worte und Gedanken zur Bibel und dem Christ:innensein wurden immer sehr geschätzt. Aber ich zweifelte an dem, was die Gemeindemitglieder über das Christ:innensein und die Bibel sagten und daran, wie ihr Verhalten mit dem Christ:innensein vereinbar war. Homosexualität wurde abgelehnt, aber Ballerspiele waren vollkommen in Ordnung. Liebe war also falsch – und Gewalt, wenn auch nur im Spiel, okay? Das ergab für mich keinen Sinn.
Als ich meinen Partner aus der Landeskirche kennenlernte und er die Gemeinde stark in Frage stellte, fasste ich den Entschluss mich zu dem, was mir widersprüchlich scheint, endlich zu äußern. Zu dieser Zeit war ich schon dabei auszusteigen, hatte aber noch die Hoffnung, die Mitglieder zum Nachdenken anregen zu können.
In einer der Gemeinde-Whatsapp-Gruppen wurde zunächst für eine “christliche” Organisation geworben, die zum Aufstand gegen die Corona-Maßnahmen rief sowie darum gebeten, für eine größere Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen zu beten. Daraufhin teilte ich einen Link, der belegte, dass die besagte Demonstration verboten wurde. Das Mitglied, das das Gebetsanliegen geteilt hatte, antwortete mit: „Das stimmt nicht!!! Spaltung, Verwirrung“. Ich lieferte einen zweiten Beleg und erklärte, dass ich eine Unterstützung für unangebracht halte, da viele Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum daran teilnehmen würden. Daraufhin wurde gesagt, dass ja auch ein bekannter charismatischer Mann dies unterstützen würde und dass es ja nur um ein Gebetsanliegen gehe. Außerdem wurde gesagt, dass „die meisten Menschen in Deutschland keine Rechtsextremisten seien, und auch die meisten Demonstranten nicht“. Er habe als Einwanderer mehr Diskriminierung von anderen erlebt, jedoch ganz viel Unterstützung und Toleranz von Deutschen. Dann wurde mir der Mund mit einem „es reicht jetzt!“ verboten, weil ich auf meine Ansicht beharrte.
Ein paar Wochen später las ich in der Jugendgruppe die Nachricht, dass der Hauskreis heute bei dem Leiterpaar zuhause stattfinden sollte, da dies in der Gemeinde aufgrund von Corona nicht erlaubt war. Ich ermahnte, dass es nicht gut ist, wenn so viele Haushalte zusammenkommen würden. Darauf folgte eine endlose Diskussion, dass es gesetzlich nicht verboten sei. Dass es aber moralisch verwerflich war, wurde in keinster Weise verstanden. Ich begann alles auf den Tisch zu hauen, was mich störte – beispielsweise, dass eine Taufe mit sehr vielen Haushalten während Corona stattfand. Daraufhin wurde mir damit geantwortet, dass ich mich lieber auf die Menschen konzentrieren solle, die sich auf Hochzeiten „wie wilde Tiere aneinander reiben, anstatt mich auf die kleinen Fische zu werfen“.
Stark kritisierte ich auch, dass ein Mitglied den Bibelvers „seid wie die Kinder, sonst kommt ihr nicht ins Himmelreich” so deutete, dass man Dinge nicht hinterfragen dürfe und Wissenschaft sowie Theologie zu studieren schlecht und unnötig sei. Zudem wurden Bibelverse aus dem Kontext gerissen und verdreht, so wie es gerade zur eigenen Intention passen.
Ich schrieb eine Nachricht, in der ich bekannt gab, dass ich aussteige, da ich keine Gemeinschaft unterstützen möchte, in der Menschen psychisch bzw. geistlich missbraucht werden, die kritikunfähig ist und in der ohne Einschränkung falsche Lehre verbreitet werden darf. Daraufhin drohte man mir mit einer Anzeige; die Mitglieder der Landeskirche wurden als „der Regierung unterworfene Pharisäer“ bezeichnet und ich wurde von fast allen blockiert. Heute bin ich frei. Aber das Gemeindemitglied, das Hinterfragen als falsch bezeichnet und erklärt, dass man nicht in den Himmel kommt, wenn man dies tut oder gar Theologie studiert, leitet nun den Jugendhauskreis (ab 14 Jahren) und den Teenhauskreis (von ca. 12-14 Jahren). Das Mitglied, welches die Auflehnung gegen die Corona-Maßnahmen anpries, arbeitet im Kinderdienst. Und NICHTS ändert sich, weil viele hineingeboren werden und schon von klein auf mit diesem Glaubensgerüst aufwachsen oder die Prediger als „vom heiligen Geist geleitet“ gelten…
Die Diskussionen mit den Gemeindemitgliedern und ihre Uneinsichtigkeit, sowie die fehlende Rücksichtnahme in der Pandemie haben mich am Ende endgültig davon überzeugt, dass diese Interpretation nicht den liebenden Gott der Bibel widerspiegelt. Auf mich wirkte alles nur noch heuchlerischer und ich konnte das nicht mehr unterstützen. Es ging nicht um die Liebe, sondern um eigene Interessen. Das passte für mich nicht zum Christ:insein. Auch, dass die Bibel als unfehlbares Wort Gottes gilt und wissenschaftliche Methoden abgelehnt werden, ärgert mich enorm. Und da Kritik unerwünscht war, ging ich.
anonym
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