„Ein kritischer Blick auf meine charismatischen Erfahrungen“

Contentwarnung: Im folgenden Text wird das Thema charismatische Erfahrungen (Erfahrungen, die durch konkretes Wirken des Heiligen Geistes erklärt werden) angesprochen. 

Je länger ich glaubte, desto mehr bin ich in charismatische Kreise hineingeraten, in denen sehr viel Wert auf das Wirken und die Gaben bzw. Früchte des Heiligen Geistes gelegt wurde. Bei Heilungsgottesdiensten, Worship/Lobpreis-Abenden oder Holy Spirit Nights „zeigte“ sich Gott bzw. der Heilige Geist durch Manifestationen in der natürlichen, realen Welt. Zu diesen Manifestationen gehörte zum Beispiel das Fallen im Geist. Ich erinnere mich an eine Situation bei einer Holy Spirit Night, als es eine „Station“ gab, zu der man gehen konnte, wenn man den Heiligen Geist auf diese Weise empfangen wollte. Dort wurde ich angepustet, an der Stirn berührt und es wurden Sätze dazu gesagt wie „Geist Gottes, komm!“ oder „Feuer Gottes, fall herab!“. Hinter mir standen andere Gläubige mit Kissen oder offenen Armen bereit, die mich auffangen sollten. Natürlich bin ich in diesem Setting umgefallen – jetzt rückblickend fällt mir erst auf, wie manipulativ das Ganze war. Vor allem da nicht umzufallen bedeutet hätte, dass ich nicht genug glauben würde…

Neben dem Umfallen zählen auch übermäßiges Lachen oder Weinen, unkontrollierte Bewegungen, Sprachengebet/Zungenrede, Visionen, Gänsehaut, flackernde Augenlider oder eine Art Bewegungsunfähigkeit zu den Manifestationen. All das kann meiner heutigen Meinung nach durch ein Verlangen nach Sensation und durch den starken Wunsch nach dem Erleben dieser Übernatürlichkeit – mehr oder weniger bewusst – herbeigeführt werden. In einer durch den Lobpreis emotional aufgeladenen Atmosphäre wollen viele Gläubige diese Manifestationen unbedingt erleben. Viele Erfahrungen entstehen meiner Meinung nach deshalb dadurch, dass die Menschen diese Erfahrungen unbedingt machen wollen. Ich selbst habe mich z.B. auch danach gesehnt, das Fallen im Geist zu erleben und habe mich so hineingesteigert, dass ich es richtiggehend provoziert habe. Durch die Rhetorik der Menschen auf der Bühne, die darauf dringt, solche Manifestationen zu bewirken, den enormen Druck durch die Gruppe, die eigene Erwartungshaltung und das tiefe Verlangen nach solchen Erfahrungen, wird der Weg freigeräumt für diese „Manifestationen“ und sie so erst real erlebbar gemacht. All diese Erfahrungen grenzen an Hypnose, entweder durch andere oder aber auch durch sich selbst bzw. durch eine enorme Autosuggestion. Wenn ich mir sehnlichst wünsche, dass ich zittere und umfalle, dann wird das auch passieren. Niemand kann beurteilen, wie viel davon „Show“ ist und aktiv herbeigeführt wird, sodass es auch zu Missbrauch kommt. Benny Hinn beispielsweise, ein selbsternannter „Pastor und Prophet“, führte das „Wehen des Heiligen Geistes“ mit versteckten Ventilatoren herbei, die auf sein Kommando hin eingeschaltet wurden (https://bibelbund.de/2016/07/wer-ist-benny-hinn/). An diesem Beispiel erkennt man gut, wie viel falscher Selbstdarstellungswahn in manchen freien Gemeinden herrscht…

anonym

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