Gebet: Ich habe gerade sehr ambivalente Gefühle gegenüber diesem Wort. Irgendwie verbinde ich mit Gebet sehr gezwungene Momente in meinem Leben. So oft habe ich gedacht „jetzt muss ich aber wirklich jeden Tag beten“ und doch bin ich immer wieder an diesem Vorsatz gescheitert. Ich habe auch gehört, wie man Gott viel näher kommen kann, wenn man ununterbrochen betet. Was für mich aber ehrlich gesagt immer ein Ding der Unmöglichkeit schien. Wie jetzt, die ganze Zeit sollte ich beten? Ohne Pause? Ja, sagte man mir, anscheinend stehe das so in der Bibel. Geschafft hab ich es aber nie. Gleichzeitig habe ich gedacht, dass viele andere, die da auf den großen christlichen Bühnen stehen, das auf jeden Fall schaffen.
Und dann waren da die Kreise, in denen man laut beten sollte. Ich schreibe sollte, weil es offiziell freiwillig war, aber lautes Beten, mit starken, großen Worten voll mit Glauben, das kam gut an. Am Anfang war ich etwas schüchtern, doch Stück für Stück lernte ich, welche Worte beim Beten gut ankamen – beziehungsweise welche Floskeln so klangen, als hätte ich einen großen, gefestigten Glauben. Dass ich eigentlich nur Anerkennung wollte, nur zu dieser großen charismatischen Gruppe dazugehören wollte, das wusste niemand. Oder ging es vielleicht allen so? Darüber wurde jedenfalls nicht gesprochen. Wenn ich an diese Zeiten zurückdenke, bekomme ich ein beklemmendes Gefühl, weil ich mich frage, was ich damals aus eigener Überzeugung und eigenem Willen tat. Mich hat niemand gezwungen und trotzdem war da ein gewisser Druck einer christlichen Gemeinschaft, zu der ich so unbedingt gehören wollte.
Auf der anderen Seite höre ich manchen Menschen noch gerne beim Beten zu. Ich kann mich sehr wohl dabei fühlen. Ich merke auch, dass es meinem Herzen Glauben schenkt. Aber eben vor allem in Situationen, in denen es keine Erwartungen, keinen Druck, sondern einfach nur Freundschaft, Liebe und Freiheit gibt. Meine liebsten Momente erlebe ich mittlerweile im stillen Gebet. Denn in der Stille kann man sein, wie man möchte. In der Stille muss sich niemand profilieren.
Josephine
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