Himmel oder Hölle

Trigger Warnung: Depression, Suizidgedanken

Durch eine Freundin aus der Uni kam ich mit einer fundamentalistisch-christlichen Studierendenorganisation in Verbindung, zu der auch viele Freikirchler*innen gehörten. Anfangs ging ich nur wegen des gratis Essens und der guten Gesellschaft hin – alle schienen mich mit offenen Armen zu empfangen.

Mit der Zeit begann ich jedoch den Ausführungen der dortigen Studierenden immer mehr Glauben zu schenken. Zuerst fühlte es sich gut an, an einen höheren Sinn im Leben zu glauben. Je weiter die „Gehirnwäsche“, wie ich sie im Nachhinein nenne, ging, desto schlimmer wurden jedoch die Glaubenssätze, die mir vermittelt wurden: Dass wir Menschen von Grund auf schlecht sind. Dass jedes schlechte Wort, ja sogar jeder schlechte Gedanke, Sünde ist, die uns wie eine Mauer von Gott trennt. Und, was ich am schlimmsten empfand, dass alle Menschen die nicht an Jesus glauben, direkt in die Hölle gehen würden, die mir als „ewige Folter“ beschrieben wurde. Dieser Gedanke machte mich fertig, vor allem weil die meisten meiner Freund*innen nicht wirklich gläubig waren oder einem anderen Glauben angehörten.

Ich begann, mich selbst völlig unter Druck zu setzen, ständig Gott für alles danken zu müssen, jegliche Sünde versuchen zu vermeiden, und (gedanklich) eine Lösung zu finden, damit die Menschen, die ich liebte, nach dem Tod in den Himmel kämen und nicht in der ewigen Verdammnis schmoren müssten. Außerdem verliebte ich mich zu dieser Zeit in einen Freund von mir, der Muslim war, und versuchte auch ihn vom „einzig wahren Glauben“ zu überzeugen.

All dieser Druck, die Schuldgefühle, das ständige Gedankenkreisen führten jedoch dazu, dass ich an einer Psychose erkrankte und quasi durch die Hölle gehen musste.

Ich verbrachte insgesamt vier Monate in einer psychiatrischen Klinik, wo ich mithilfe von Medikamenten und unzähligen Therapien gegen starke Suizidgedanken ankämpfte. 

Nur langsam ging es mit mir wieder bergauf. Ich konnte schließlich wieder mein Studium aufnehmen und kam auch mit dem oben erwähnten Freund zusammen, mit dem ich heute glücklich verheiratet bin. Auch die Medikamente konnte ich langsam ausschleichen.

Im Jahr 2022 erlitt ich jedoch einen Rückfall: Eine Psychose konnte durch Tabletten verhindert werden, aber ich erkrankte erneut an Depressionen mit Suizidgedanken und verbrachte mehr als sechs Monate im Krankenhaus. Auch von dieser schlimmen Episode konnte ich mich zum Glück erholen – die seelischen Narben trage ich jedoch noch heute davon und Medikamente (inkl. Nebenwirkungen wie etwa Müdigkeit) werden vermutlich mein ganzes restliches Leben lang meine Begleiter sein. 

Der Himmel, der mir von der Freikirche versprochen wurde, hat sich also nicht bewahrheitet, vielmehr habe ich die Hölle auf Erden erlebt. Ich hoffe jedenfalls, mit meiner Geschichte andere davor zu warnen, welche (mitunter gefährlichen) Folgen Fundamentalismus haben kann.

/anonym

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