Schuldgefühle haben mich erdrückt

Triggerwarnung: im folgenden Text wird Hölle thematisiert.

Als ich mit 10 Jahren von einer guten Freundin in die Jungschar ihrer Freikirche eingeladen wurde, habe ich mich dort über mehrere Jahre sehr wohl gefühlt. Die Gemeinschaft tat mir sehr gut und war das, was ich zu diesem Zeitpunkt gebraucht hatte. Als ich älter war, half ich in Kindergottesdiensten und auf Kinderfreizeiten mit. Doch all das begann mit der Zeit zu bröckeln. 

Nachdem meine Familie und ich aufgrund schwerer Erkrankungen eine schwere Zeit durchgemacht hatten, verstarb mein Opa, als ich 15 Jahre alt war. Wie meine Oma hielt er nichts von Freikirchen, einem Gott oder einem Heiligen Geist. Meine Eltern trösteten meine Oma mit den Worten: „Ihm geht es jetzt besser. Er muss nicht mehr leiden. Er ist jetzt an einem guten Ort.“ Ich wollte dies glauben, so sehr. Doch wenige Tage danach hörte ich in meiner Gemeinde eine Predigt, in der es ironischerweise um die Hölle ging. Sätze fielen wie „dort wird man von Würmern zerfressen und vergeblich um Hilfe schreien“ und „man wird in ewigem Schmerz im Feuer leiden.“ Allen , die  dort saßen, war klar, wer laut der Bibel in der Hölle landet. Genauer gesagt: mir war sofort klar, dass diesen Menschen zufolge mein Opa ab sofort bis in alle Ewigkeiten Qualen erleiden würde. 

Und so begann ich, ernsthafte Panik zu bekommen. Panik und Angst davor, dass den Menschen, die ich liebe, dieses Schicksal bevorstehen würde. Da meine Oma auch schon sehr alt war und immer schwächer wurde, bereute ich jeden einzelnen Tag, an dem ich mich nicht dazu überwinden konnte, sie auf den Glauben an Gott anzusprechen. Ich fühlte mich in der ernsthaften Verantwortung, meine Oma zur Bekehrung zu bewegen, um wenigstens sie vor diesen ewigen Qualen bewahren zu können. Bis sie eines Tages, relativ unerwartet, ebenfalls verstarb. 

Diese Schuldgefühle haben mich erdrückt. Der Gedanke, sie diesem Schicksal überlassen zu haben, weil ich mich nie getraut hatte, sie auf den Glauben an Gott anzusprechen – das hat mich fertig gemacht. Es hat mir den Atem geraubt. Ich bin dankbar, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der mir meine Eltern einen liebenden, barmherzigen Gott vorgestellt haben. Das völlige Gegenteil von dem, was mir über Jahre in der Freikirche eingetrichtert wurde. Sie halfen mir, diese Schuldgefühle mit der Zeit ablegen zu können. Ich erinnere mich an den Moment, in dem ich mich an das Grab meiner Großeltern stellte und flüsterte „Ich weiß, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden. Ich weiß nicht wann, nicht wie, aber ich glaube daran, dass es euch gut geht, wo immer ihr jetzt auch sein mögt.“ 

Ich habe es in Gottes Hände gelegt. Ohne Angst. Ohne Schuld. Ich habe mich dazu entschieden an einen Gott zu glauben, der die Welt nicht schwarz/weiß sieht und Menschen in eine ewige Hölle wirft, nur weil sie nicht (so) geglaubt haben, wie die Freikirche es vorschreibt. Ich möchte nicht in Panik um meine Liebsten und die Menschen um mich herum leben, sondern daran glauben, dass Gott sich gut um jeden Menschen kümmert, was auch passiert.

Anonym

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