Unfrohe Ostern

In unserer Gemeinde hing an Ostern immer ein minimalistisches Kreuz. Manchmal geschmückt von ein paar Bändern und Zweigen. Eigentlich fast schon modern.

Auf den klassischen, halbnackten und leidenden Jesus wurde aus theologischen Gründen verzichtet, da man sich ja kein „Bildnis von Gott” machen solle, obwohl wir im Kern genau das selbe Bild – auch wenn nur in der Sprache – nutzen.

Ein halbnackter, leidender Mann – gekreuzigt und mit einem leichten Tuch bedeckt an ein Kreuz gehängt. Eigentlich – denke ich jetzt, wo ich diese Gedanken denken darf – eigentlich ist das doch etwas sonderbar.

Ein Folterinstrument als Symbol der Erlösung  in eine Gemeinde zu hängen.

Und einen ausgemergelten, verwundeten Körper, der manchmal etwas lasziv-leidend und halbnackt von einem Kreuz hinabblickt, als Heilsymbol zu kommerzialisieren. 

Gut, wenn das Menschen Trost spendet.

Göttlich empfinde ich es nun nur nicht mehr.

Und natürlich ist mir bewusst, dass es in dem christlichen Glauben nicht nur um die

körperlichen Leiden ging, sondern um das Göttliche, darum die Sünden der ganzen Menschheit auf sich zu laden und die angeblich unendlich schmerzhafte Trennung von Gott.

Ich habe dieses Bild lange nicht hinterfragt. Damit bin ich indoktriniert und groß geworden.

Und in meiner Kinderseele ist das Bild hängen geblieben, dass jemand aufgeschlitzt und an ein Kreuz gehängt wurde, weil ich schlecht bin – weil die Menschen schlecht sind – weil alle schlecht sind.

Als ich viele Jahre später bei meiner Psychologin saß, war ich überrascht, dass sich diese Wahrheit – die Kehrseite der Osterbotschaft – die Doktrin, so in mich hinein gebrannt hat.

Im Fragebogen einer Schematherapie – wo man versucht herauszufinden welche Glaubensgrundsätze man als Kind verinnerlicht hat und welche einen noch unterbewusst im Handeln leiten – stand es auf einmal wieder da:

Der Mensch ist böse – und muss bestraft werden.

Und dann wurde mir auf einmal wieder klar, was ich so oft versuche zu vergessen.

Was mir das ganze Jahr und besonders an Ostern beigebracht wurde.

Man muss bestraft werden, es sei denn der Mensch wendet sich an Gott.

Man muss bestraft werden, es sei denn der Mensch nimmt das abstruse Sühneopfer von einem ermordeten Männerkörper an.

Man muss bestraft werden, wegen der Erbsünde.

Doch da gab es ja Jesus.

Der auferstandene Gott.

Der ja alle retten wollen würde,

wenn die bösen, bösen Menschen, dass doch nur alle einsehen würden.

Ein von bösen Menschen an ein Kreuz genagelter Gott, aus dem nun Gottesblut fließt.

Ein gefallener Gott.

Eigentlich ein sehr bekanntes mythologisches Motiv.

Aber für mich war es keine Mythologie.

Das war in meinem Weltbild unangefochtene Realität.

Das war für mich so real, wie Geschichten der Großeltern von früher.

So real wie der Wind oder die Butter auf dem Brot.

Für mich steht Ostern nicht mehr für das Sühneopfer.

Für mich steht Ostern für eine Erziehung,

die mir verboten hat, mich selbst zu akzeptieren.

Für mich steht Ostern für ein Weltbild,

dass in drinnen und draußen einteilt.

Für mich steht Ostern dafür, dass Menschen angeblich böse sind

und nichts Gutes aus ihnen kommen kann.

Für mich steht Ostern für eine unfrohe Botschaft,

als ein Kind, das in einer Parallelgesellschaft groß geworden ist.

Mittlerweile versuche ich Ostern als ein Familienfest zu sehen, an dem ich meine Familie und ein paar alte Freund_innen wiedertreffen kann. Wo man sich trotz seiner Unterschiede an einen Tisch begibt. Zwar bin ich in der Situation immer unangenehm mit meiner Vergangenheit konfrontiert und ich erinnere mich daran zurück, dass ich früher genauso dachte wie meine Verwandten. Doch ich bin sehr froh, dass ich Ostern jetzt ohne diese Schuld und Scham feiern kann und zu mir selbst gefunden habe. Irgendwo bin ich auferstanden davon, – von diesem engstirnigen Fundamentalismus. Wahrhaftig auferstanden.

anonym

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