Was tun, wenn der Schuh drückt?

Es ist so, dass mir der Schuh drückt. Dieser spezielle Schuh ist meine Kirche. Irgendwie bin ich aus meinen Schuhen herausgewachsen und nun passe ich nicht mehr rein. Ich habe alles probiert, um mich unter- und einzuordnen, mich anzupassen, keine Fragen mehr zu stellen und einfach brav mit zu machen. Aber der Schuh drückt trotzdem und ich laufe mir jedes Mal wieder eine Blase. Alle meine Bemühungen, in Gesprächen mit den Verantwortlichen meine Bauchschmerzen zu erklären sind im Nichts verlaufen.

Vielleicht ist mein Blick so weit geworden, dass ich mich in dem engen System wie in einem Korsett eingeengt fühle. Ich gehe in eine sehr moderne Kirche. Eine gute Freundin sagt: „Deine Probleme hätte ich gerne, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es sowas gibt.” Sie hat Recht, von außen betrachtet, stellen wir ein ideales Bild von einer engagierten, fröhlichen, lebendigen und innovativen Kirche dar. Aber im Inneren ist etwas faul.

Bei uns wird großer Wert auf das Aussehen, Auftreten und die Wirkung der church gelegt. Neue Besucher:innen sollen sich sofort zu Hause fühlen. Sie werden überschwänglich begrüßt, es wird Ihnen ein Platz gesucht, sie bekommen ein Geschenk und nach dem Gottesdienst werden sie ins Café zu einem hochwertigen Cappuccino eingeladen. Bei uns gibt es nach dem Gottesdienst keine Kekse, die im Mund zu Staub zerfallen, nein nein, wir werden frisch von der Bäckerei am Sonntagmorgen beliefert. Alles was im Gottesdienst passiert wirkt professionell, diskret und sehr, sehr freundlich. Es ist alles schon so aalglatt, dass es auf mich wie eine Inszenierung wirkt. Auf der Bühne, in Nebellicht getaucht, hüpft das Lobpreis Team herum und ermutigt klatschend die Leute zum Mitmachen. Ich fühle mich wie in einem Mini-Club in einem All-inclusive Hotel. Der Pastor tritt in Skinny Jeans auf die Bühne und hält eine rhetorisch einwandfreie Predigt. Er macht deutlich, dass wir Menschen lieben, es lieben würden mit jedem Gast zu sprechen, die church lieben und sowieso sehr viel in unserem Leben lieben. Alles wirkt so freundlich und fröhlich. Wenn dann ein Aufruf kommt – „come on!“ – um das eigene Leben Jesus zu geben, gehen jeden Sonntag Hände hoch. Würden all diese Menschen in dieser church bleiben, wäre sie wohl schon die größte church Deutschlands. Sie eignet sich besonders gut für Erstbesucher:innen. Weniger geeignet ist sie für Menschen, die schon länger mit dem Glauben unterwegs sind. Meine Freund:innen aus der Kirche sagen, dass wir unseren geistlichen Input nicht in unserer Kirche finden müssen. So gehen wir alle zum Dienen und Arbeiten in die Kirche, aber zum Empfangen müssen wir uns einen anderen Ort suchen.

Bei uns in der church passiert nichts Unerwartetes, bei uns wird alles gut geplant und durchdacht und alles, wirklich alles, wird auf die Besucher:innen ausgerichtet. Was ich festgestellt habe, ist, dass Kirche für mich so furchtbar langweilig geworden ist. Es ist für mich wie eine immer wiederkehrende Show. Die Akteur:innen und der Inhalt mögen sich abwechseln, aber es ist, als würden wir etwas nachschauspielern und es gar nicht wirklich leben. Es wird all das vermeintlich Richtige gesagt, aber irgendwie fehlt was. Es ist mehr Schein als Sein und ich bin müde geworden.

Ich fühle mich wie eine Rebellin wenn ich aussteige, aber ich kann diese Leblosigkeit nicht mehr ertragen. Sie nagt an mir. Ich suche Worte, ringe mit mir, sehe die Hilflosigkeit meiner Freund:innen und kann ihnen doch nicht helfen. Ein Hunger nach Echtheit, authentischem Ausdruck, wahren Geschichten, alten Liedern und vielleicht auch nach Stille macht sich breit. Sind wir einfach mit Mitte 30 schon zu alt für die church geworden?

Ich möchte wieder Fehler machen dürfen, mich ausprobieren, was Neues, Außergewöhnliches und Ausgefallenes wagen, zu den Menschen gehen und nicht die Menschen nur zu uns in die Kirche holen. Auch mal normal sein dürfen.

Ich habe einen Entschluss gefasst, ich möchte nicht nur bei dem Drehbuch mitspielen, ich möchte mitgestalten, möchte nicht nur Anweisungen bekommen, sondern gemeinsam fragen, wo es langgeht. Somit sage ich: tschüss. Ich steige aus. Ich brauche neue Schuhe und ich vertraue, nach jahrelangen Blasenlaufen, dass es was Neues für mich gibt. 

anonym

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