Wertlos ohne Gott?!

Der christliche Glaube, wie ich ihn vorgelebt bekommen und auch selbst gelebt habe, basierte im Endeffekt auf einer grundlegenden Annahme: Ich kleines, aus der eigenen Perspektive wertloses Menschlein voller Fehler, werde von einem großen, allmächtigen und perfekten Gott geliebt. Gott bzw. der Glaube an ihn wurde in meiner Gemeinde als die einzig wahre Quelle von Identität und Selbstwert angesehen. Erst dieser Zuspruch von Gott gab mir überhaupt einen Wert – frei nach dem Motto: Gott sagt mir, wer ich bin, weil ich es selbst nicht weiß. Menschen, die nicht „Gottes Kinder“ waren, schienen verloren und wurden so dargestellt, als hätten sie keine Hoffnung auf ein Leben, in dem sie zufrieden mit sich selbst sind und sich annehmen können.

Dass die Suche nach Selbstwert nicht nur für mich eine enorm große Rolle gespielt hat, zeigt die Tatsache, dass es so viele verschiedene Predigten dazu gibt. Aber auch meine Erfahrung mit den vielen Menschen, die ich in unterschiedlichen Gemeinden und auf anderen Events kennengelernt habe, hat mir gezeigt, dass viele von ihnen Probleme mit sich selbst hatten. Sie wussten nicht, wer sie sind, was sie wertvoll und liebenswert macht und konnten sich selbst oft nur schwer akzeptieren – genau wie ich.

Der Glaube an einen Gott, der diese Lücke füllt und damit eine existenzielle Sehnsucht stillt, kann hier vielleicht wirklich helfen und Leben lebenswerter machen. Oft habe ich mich klein, schwach und unsichtbar gefühlt – da hat mir der Gedanke, dass Gott mich wahrnimmt und liebt, manchmal geholfen. Dennoch war in meinem Glauben die Frage bzw. Suche nach meinem Selbstwert immer zentral und die klare Antwort „Nur Gott gibt dir Selbstwert!“ ständig präsent. Irgendwie konnte ich die vielen „Wahrheiten“ über mich und meinen Wert aber nie richtig annehmen, sie kamen nie bis in mein tiefstes Inneres durch. Ich konnte sie nicht aus tiefstem Herzen und voller Überzeugung glauben. Die Zweifel und ablehnende Gedanken über mich selbst waren immer wieder stärker.

Heute blicke ich sehr kritisch auf diese Sichtweise zurück, die mir eingeredet hat, nur Gott könne mir Selbstwert geben. Einerseits hat das für mich im Endeffekt nie wirklich „gewirkt“, andererseits machte es mich auch total anhängig. Mein Problem war schon immer, dass ich meinen Wert im Außen gesucht habe, z.B. in Leistung, Lob und Anerkennung. Ich hab damals nicht erkannt, dass auch Gott mir ganz genauso nur von außen „gesagt“ hat, ich sei wertvoll. Mein gefühlter Wert lag zu dieser Zeit nicht „in mir“, ich wusste also nicht wirklich intuitiv, dass ich liebenswert und gut bin, so wie ich bin. Der Verweis auf Gott, der mir Selbstwert gibt, hat das alles noch schlimmer gemacht, weil ich nie gelernt habe, mich selbst wertzuschätzen und zu akzeptieren. Ganz besonders problematisch finde ich heute, dass ich immer wieder in eine passive Rolle gedrängt wurde – Gott gibt mir Selbstwert, er verleiht mir Würde, „ohne ihn bin ich nichts“. Ich konnte nie ein gesundes Verhältnis zu mir selbst entwickeln, weil ich in meinen Selbstzweifeln immer direkt auf Gott verwiesen wurde. Insgesamt hat sich für mich ein zerstörerischer Kreislauf aus Selbstwertkomplexen ergeben, der sich zu einer immer stärker werdenden Abwärtsspirale entwickelt hat. Ich fühlte mich wenig wertvoll, konnte dem aber nichts entgegensetzen und fühlte mich schlecht, weil ich Gottes Meinung über mich nicht glauben konnte und ihn damit quasi in Frage stellte. Dann ging es mir deshalb nur noch schlechter, weil ich mich schuldig fühlte und mir Vorwürfe machte und alles begann von vorne…

Trotz meiner heute kritischen Sicht auf all das frage ich mich manchmal, woraus bedingungsloser Selbstwert entstehen kann. Woher kann stattdessen die Gewissheit kommen, wertvoll zu sein, wenn nicht aus der Tatsache, von einem perfekten Gott gewollt und geliebt zu sein – unabhängig von eigenen Leistungen, Taten und Erfolgen? Der Wegfall meines Glaubens hat in mir in dieser Hinsicht eine offene Frage hinterlassen, bei der ich heute oft die Befürchtung habe, sie mit „falschen“, äußerlichen Dingen zu beantworten, von denen ich mich wieder nur abhängig mache. Trotzdem hat mir die Abkehr vom Glauben erst den Freiraum gegeben, überhaupt über meinen Selbstwert und die Frage, wie ich mich selbst annehmen kann, nachzudenken und Antworten zu finden. Heute kann ich sagen, dass es mir ohne einen Gott, der mir sagt wer ich bin, viel besser mit mir selbst geht als je zuvor. Ich bin sehr froh darüber, mich endlich wertschätzen zu können und viel tiefer zu wissen, dass ich wertvoll und liebenswert bin, als ich es mit Gott jemals konnte.

Chrissi

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