Ent-täuscht: Gemeinde und Gemeinschaft

Früher glaubte ich, Gemeinde sei ein sicherer, heiler Ort, weshalb ich mir niemals vorstellen konnte, ohne Gemeinde zu sein. Ich glaubte, nur unter Christ:innen sei echte Gemeinschaft und Zugehörigkeit möglich, weshalb mein ganzer Freund:innenkreis aus Christ:innen bestand. Früher glaubte ich, Gemeinde fängt mich auf, wenn es mal schwierig für mich wird, ist mir Familie und Trost. Ich glaubte, diese Verbindung sei etwas Besonderes – weshalb ich mich mit viel Energie in Gemeinde einbrachte, so viel Zeit, so viele Ideen zur Verfügung stellte.

Doch dann kamen die Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Dann kamen Zweifel am Glauben, die ich zwar äußerte, die aber niemand ernst nahm. Dann kam die innere Last, weil ich mich für nicht mehr gut genug hielt, so mitzuarbeiten – voller Fragen, immer in Sorge, auch andere zu verunsichern. Und da merkte ich: Hier muss ich allein durch. Hier begleitet dich Gemeinde nicht. Hier fängt dich niemand auf, weil deine Last für die anderen zu schwer ist, deine Fragen zu tief gehen, deine Zweifel zu substanziell sind. Ich bin allein hindurch gegangen. Heute glaube ich nicht mehr an Gott, bezeichne mich nicht mehr als Christin und bin kein Gemeindemitglied mehr.

Aber wenn ich heute zurückschaue, dann sehe ich, dass Gemeinde kein sicherer, heiler Ort ist. Sie ist es nur, solange man ins System passt. Solange man keine zu tiefgreifenden Fragen stellt. Solange man Zweifel rechtzeitig überwindet und davon berichten kann. Echte Zugehörigkeit und Annahme findet auch in Gemeinde nur bedingt statt. Solange ich Interesse an der Botschaft zeige und die Regeln und Dogmen nicht hinterfrage, darf ich gern dazugehören. Wenn ich das nicht tue, werde ich zu einem unbequemen Problem, mit dem man sich lieber nicht mehr beschäftigt.

Das ist nicht die Schuld der einzelnen Person in Gemeinde. Jede:r gibt dort, was sie oder er kann. Jede:r erträgt Zweifel und Fragen, soweit sie oder er das kann. Dieses Aushalten können ist begrenzt, weil wir alle Menschen sind. Und doch hält man gemeinsam eine Täuschung aufrecht, vielleicht auch, weil man sich selbst so sehr wünscht, sie wäre die Wirklichkeit. Doch es ist eine Täuschung zu glauben, unter Christ:innen herrsche mehr Nächstenliebe und Annahme als unter anderen Menschen. Es ist eine Täuschung zu glauben, nur unter Christ:innen sei wahre Gemeinschaft zu finden. Denn diese Gemeinschaft gilt nur für die Insider, für die Glaubenden. Wer nicht oder nicht mehr glaubt, bleibt immer außen vor.

Ja, ich bin ent-täuscht von Gemeinde. Aber es ist auch gut, diese Täuschung zu überwinden. So weiß ich, ich konnte nicht mehr erwarten und muss ich niemandem persönlich etwas nachtragen. So kann ich realistischer auf die Menschen sehen, die mich eine lange Zeit meines Lebens begleitet haben. Sie sind eben auch nur Menschen, die ihren Glauben bewahren und beschützen möchten.

Gemeinschaft entsteht durch Offenheit und Annahme, durch Zuhören und Stehenlassen können, durch Helfen und Nachfragen, durch gemeinsam verbrachte Zeit. Diese Gemeinschaft ist unabhängig davon, ob man zu einer Gemeinde gehört. Sie ist einfach nur Zeichen dafür, dass mein Gegenüber mich schätzt. Solche Momente der Gemeinschaft sind mir heute wertvoller als je zuvor!

Sara

Hier geht es zum Beitrag auf Instagram