Heute möchte ich diesen Raum nutzen, um etwas zu bestärken, das sehr positiv in meinem Leben wirkte und meinen Freikirchenausstieg in Gang brachte: Theologie als Wissenschaft. Die Theologie ist das Reflektieren und Erforschen von Gedanken, Handlungen, Denkkonstrukten, Dogmen etc. Auch in der Theologie lief und läuft vieles falsch. Für mich jedoch hat die Theologie den Weg geebnet, Mehrperspektivität zuzulassen.
Damit kann ich Freiheit erleben und mir dennoch einen tiefen Glauben bewahren. Ich kann, ja muss mich öffnen, wenn ich andere Menschen und ihren Glauben verstehen will. Und dabei soll die Theologie als Wissenschaft erst einmal wertungsfrei bleiben. Sie kann beobachten, erforschen, hinterfragen und beurteilen, aber sie verurteilt nicht per se. Und genau das Hinterfragen von bisher als wahr angenommenen Glaubensüberzeugungen brachte mich dazu, mein Leben komplett zu verändern. Und zwar so richtig komplett: von einer homophob eingestellten, konservativen CDU-Wählerin hin zu einer progressiv denkenden Queer-Theologin, die nun in diesem Feld forscht. Und das alles dank eines wissenschaftlichen Theologie-Studiums. Ich durfte entdecken, dass Theologie bunt und vielfältig ist – nicht willkürlich – und dass diejenigen, die Theologie als etwas Enges, Geradliniges und Absolutes ansehen, sie nicht erkannt haben.
Aber warum ist Theologie auch für nichtkundige Personen wichtig? Weil sie uns beibringt, Glauben nicht in Angst und Sorge auszuleben, sondern Glauben Raum zum Atmen und zum Sein zu schenken. Wir dürfen Mensch sein. Wir dürfen Fehler machen. Wir dürfen progressiv leben, ohne dass unser Seelenheil auf dem Prüfstand gestellt wird. Wir dürfen Menschen begegnen und ihnen ein offenes Ohr schenken, ohne gleich in verurteilende Diskussionen zu verfallen. Theologie macht‘s möglich. Was hat das aber nun mit dem Freikirchenausstieg zu tun?
In meiner protestantischen Freikirche, den Siebenten-Tags-Adventisten, gab es ein breites Spektrum an Gläubigen, so wie in allen Kirchen, Denominationen und Religionen. Von liberal-progressiv über konservativ bis fundamentalistisch. Ich bin selbst in einer liberalen Gemeinde groß geworden, die auch evangelische und manchmal sogar römisch-katholische Theolog:innen zitierte. Das ist eine Seltenheit bei Adventist*innen, da sie einen sehr exklusiven Wahrheitsanspruch haben und andere christliche Theologien nur bedingt und in progressiven Flügeln zulässt. Meine Eltern jedoch waren hauptsächlich in den konservativen Flügeln unterwegs. Meine Erfahrungen reichten sogar bis in das fundamentalistische Spektrum. Also war ich wirklich tief gefangen in restriktiven Strukturen.
Und in dem Befinden begann ich Theologie auf Lehramt an einer Universität zu studieren – denn Pfarrerin konnte ich in meiner Lebenswelt nicht werden. Viele der Reaktionen meiner „Glaubensgeschwister“ war ungefähr so: „Ach du lieber Apfel, die fällt sicherlich vom Glauben ab und verliert ihre Beziehung zu Jesus.“ Das ist ein Äquivalent zu einem ewigen Todesurteil. Naja und dann begann ich erstmals andere (konservativ) Gläubige kennenzulernen und zu entdecken: „Hey, die meinen es auch ernst mit dem Glauben, haben aber einfach andere Traditionen als ich. Ist doch in Ordnung.“ Und später durfte ich dann auch landeskirchliche, progressiver Denkende kennenlernen und merkte: „Wow auch sie meinen es ernst mit dem Glauben. Und dabei sind sie darauf bedacht, anderen nicht ihren Glauben abzusprechen.“ Es dauerte nochmal zwei oder drei Jahre bis ich sagen konnte: „Das will ich auch für mich. Ich möchte ein freies Leben führen, mit vollem Bewusstsein meiner theologischen Überzeugungen, die so viel pluraler und progressiver geworden sind im Vergleich zum Beginn meines Studiums.“
Dann beschloss ich, Pfarrerin zu werden. Ich trat der Landeskirche bei. Das war eine Erfahrung für sich. Es fühlte sich so an, wie ein Andocken im sicheren Hafen. Es dauerte nochmal so ein Jahr, bis ich das Studium anfing, ganz zum Schock meiner Eltern, denen ich erst ein Jahr später davon erzählte. Sie hielten meine Entscheidung natürlich für die durch Satan verwirrte Entscheidung. Als ich ihnen dieses Jahr nebenbei mitteilte, dass ich bereits vor knapp drei Jahren Mitglied in der Landeskirche wurde, waren sie sprachlos. Von meinen Eltern bekomme ich keinerlei Unterstützung, für mein Vorhaben Pfarrerin zu werden. Seitdem begreife ich auch, was Jesus einmal sagte: „Wer Vater und Mutter meinetwegen nicht hasst, kann mir nicht nachfolgen.“ (freie Übersetzung nach mir) Ich verstehe das so, dass man für manche Wege, die G*tt einem bereitlegt, auch ohne Familie beschreiten muss, wenn sie bspw. diesen Weg nicht unterstützen. Aber du weißt, dass diese innere Stimme eine göttliche ist. Das kann sehr schmerzvoll sein. Familie ist ja nunmal ein Sicherheitsnetz und der Ort von Geborgenheit. Dieser ist jedoch bei mir schon lange die Theologie geworden. Ich mache Theologie trotz aller Widerstände.
Und während ich diese Zeilen tippe, warte ich darauf, gleich mit meiner Betreuerin für die Dissertation zu sprechen. Ich darf queere Anthropologien und G*ttesbilder erforschen. Ich bin sehr dankbar, Theologie machen zu dürfen. Nichts wird mich davon abhalten. Theologie ermöglicht es, mehrere Meinungen über religiöse Wahrheit zuzulassen.
Aki
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