Ich war schon als Kind eine Leseratte und las mich durch das große Bücherregal meiner Eltern, gefüllt mit ein paar „säkularen“ Büchern, aber vor allem mit christlichen Büchern. Aus frommen Kinderbüchern wurden bald fromme Romane, die rückblickend alle ein gemeinsames Thema hatten:
Immer wurden Geschichten von Menschen erzählt, die entweder von Gott* nichts wissen wollten, es nicht so wirklich ernst mit ihm meinten oder aber auch ein besonders inniges Verhältnis zu Gott* hatten. Und alle ereilte das gleiche Schicksal: eine Krankheit, ein Verlust, irgendein schweres Los. Dem einen sollte es zur Läuterung dienen, der anderen zur Stärkung des Glaubens. Aber die Botschaft für mich war immer klar: Ich werde schwere Dinge erleiden müssen, entweder, weil Gott* mich wieder zurückrufen muss oder aber, weil ich meinen Glauben beweisen und stärken muss. Egal, wie ich es mache, es wird auf jeden Fall auf mich zukommen.
Und das führte mich schon als Kind in eine große Angst hinein. Abends im Bett stellte ich mir vor, wie meine Eltern bei einem Unfall verstarben und ich mich mit Gottes* Hilfe da durch kämpfen musste. Oder in meinen Teenager-Tagträumen musste ich durch eine schwere Krankheit gehen oder eine aus christlicher Sicht falsche Liebe loslassen. Ich hätte später fast eine Beziehung beendet, weil ich nach dem Lesen einer christlichen Biografie glaubte, ich müsse unbedingt ein Opfer für Gott bringen und das konnte nur dieser Mann sein, der mir so wichtig war. „Stille Zeit“ wurde schwierig für mich, weil ich immer befürchtete, dass Gott* dann seine Forderungen an mich stellen würde.
Als meine Kinder zur Welt kamen, potenzierte sich diese Angst. Jetzt ging es ja nicht mehr nur um mich, sondern auch um diese kleinen Wesen, die mir doch das Liebste auf der Welt waren. Würde eines von ihnen erkranken? Oder würden sie früh Waisen werden, weil es mich erwischte? Und wie konnte es überhaupt sein, dass mein Leben so gut verlief? Wann würde dieses Glück enden?
Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte: Mein Blick in die Zukunft war immer angsterfüllt. Und je länger das Unglück ausblieb, umso mehr zweifelte ich wiederum an meinem Glauben. Wenn mir nichts Schlimmes passierte und Satan mich nicht angriff, dann musste ich wohl lau sein, oder ich war Gott* nicht wichtig genug, weshalb er* mich nicht auf die Probe stellte. Aber weit genug weg, um zurückgeholt werden zu müssen, fühlte ich mich dann auch wieder nicht.
Irgendwann ging mir auf, dass Leid uns Menschen oft unverschuldet und ungerecht trifft. Ich konnte nicht länger glauben, dass das Leid, das andere Menschen erlebten, ihnen von einem liebenden Gott* zugemutet sein sollte – aus welchen Gründen auch immer. Ich realisierte, wie sehr allein meine Geburt in Deutschland mich vor Leid schützt. Doch warum sollten wir Gott* mehr wert sein als irgendein anderes Volk auf der Welt?
Als ich jemandem davon erzählte, dass ich nicht mehr glaube, war die Antwort eine so typische: „Als Christ:innen glauben wir, dass Gott dich wieder zurechtbringen wird – und hoffentlich geschieht es nicht durch allzu große Not.“ Dieser Satz machte mich unglaublich wütend. An diesem Abend schrie ich meinen Frust in Richtung Himmel: „Genau das glaube ich nicht mehr. Du machst mir keine Angst mehr!“
Ob dieser Ausbruch ungehört verhallte und mir einfach nur etwas mehr Leichtigkeit zurückließ? Ich glaube schon.
Ob sich da nun ein liebender Gott* über meine neu gewonnene Freiheit freut? Das wäre auch ein schöner und angstfreier Gedanke!
Sara
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