Aber wir lieben sie natürlich trotzdem

Freiheit haben sie mir versprochen.

Glück. Liebe. Angenommen sein. Heimat.

Aber mit Bedingungen.

Verhalten müsse ich mich schon so wie es sich gehört,

wenn ich mich Christin nennen möchte.

Bibellesen und in den Gottesdienst gehen.

Ein untadeliges Leben führen.

Als sei ich göttlich, nur weil ich an einen Gott glaube.

Die Regeln sind gesetzt:

Sex vor der Ehe sei Sünde, Homosexualität ebenso.

Diese Menschen seien auf dem falschen Weg.

Ihnen fehle halt die nötige Disziplin.

Oder der nötige Glaube.

Die Guten sind drinnen.

Die Sünder:innen draußen.

Und damit die Sünde die Guten drinnen nicht zerstört,

werden sie rausgeschmissen.

Aber wir lieben sie natürlich trotzdem.

Die Sünder:innen, nicht die Sünde.

Das soll ich euch ernsthaft jemand glauben?

War Jesus nicht gerade der Freund der sogenannten Sünder:innen?

Doch wir geben uns nur mit ihnen ab, um sie zu bekehren.

Oder um unser Gewissen zu beruhigen.

Was nun, wenn ich selbst diese sogenannte Sünderin bin?

Was, wenn mich die Zweifel plagen?

Was, wenn ich nicht mehr glauben kann, was in der Bibel steht?

Was, wenn mich der Gottesdienstbesuch krank macht?

Was, wenn ich all die moralischen Standards nicht mehr erfüllen kann? 

Halte ich mich nicht an die Regeln, plagt mich ein schlechtes Gewissen.

Angst, Gott und Menschen enttäuscht zu haben.

Und natürlich am meisten mich selbst.

Halte ich mich an die Regeln, fühle ich mich wie in einem Gefängnis.

Gefangen in einem perfiden System,

das nur denjenigen Anerkennung und Zugehörigkeit bietet,

die es bedient.

Ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich versuche ihnen aus dem Weg zu gehen,

Ich versuche die Lehren hinter mir zu lassen.

Doch ich entkomme ihnen nicht.

Ihre Stimmen werde ich einfach nicht los.

Ich sehe die Steine schon fliegen.

Darauf geschrieben ist: Versagerin, Loserin, Sünderin.

Abgefallen vom wahren Glauben.

Aber wir haben dich trotzdem so lieb, schreien sie hinterher.

Aber auf keinen Fall sei ich würdig, Teil der Gemeinschaft zu sein.

Und schon gar nicht mitzuarbeiten.

Dabei hat Jesus in den Sand geschrieben 

und keinen einzigen Stein geworfen.

Er war bei den sogenannten Sünder:innen.

Es waren seine Freund:innen und Weggefährt:innen.

Er war bei denen, die von der religiösen Elite verachtet wurden.

Vielleicht ist er uns sogenannten Sünder:innen und Zweifler:innen

auch heute noch näher als wir denken.

Jule

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