Bis vor einigen Jahren habe ich mein ganzes Leben an Gott ausgerichtet, oder zumindest an dem, was ich für Gottes Willen hielt. Und trotzdem muss ich mir heute manchmal anhören, dass ich wohl nie wirklich geglaubt hätte. Dass mein Glaube nicht „echt“ gewesen wäre. Dass ich sonst nicht „vom Glauben abgefallen“ wäre. Dabei habe ich alles, wirklich alles, was ich hatte, für Gott gegeben.
Zeit, die ich aus heutiger Sicht lieber in zwischenmenschliche Beziehungen und meine eigene Persönlichkeitsentwicklung hätte stecken sollen.
Energie, die ich gebraucht hätte, um den negativen Stimmen, die meine ständigen Begleiterinnen waren, standzuhalten. Um das Flüstern in mir bekämpfen zu können, das mir permanent gesagt hat: „Du bist sündig. Du betest nicht genug, liest zu wenig in der Bibel und solltest mal öfter Gott fragen, was er für dich will, statt deinen eigenen Kopf durchzusetzen.“
Ich habe die Verbindung zu mir selbst, zu meinen Gefühlen und meiner eigenen Meinung aufgegeben. Wobei ich ehrlich sagen muss, was ich nie wirklich hatte, konnte ich schlecht bewusst aufgeben. Dennoch war mir klar, dass ich mich auf keinen Fall zu sehr um mich selbst drehen durfte.
Ich opferte meine Lebenskraft, die in den langen Phasen des Ausharrens, des Fragens ohne Antwort, der Verunsicherung durch die selbst auferlegten Regeln immer weniger wurde.
Ich spendete Geld, das in Projekte geflossen ist, die ich heute nicht mehr unterstützen würde.
Herzblut und Leidenschaft an langen Worship-Abenden, die mir heute noch fehlen, weil sie für mich der Inbegriff, quasi die Definition von „mich gut fühlen“ waren. Weil sie mir ein Hochgefühl geschenkt haben, das ich vorher nicht kannte. Ähnliche Erfahrungen habe ich zwar mittlerweile zum Beispiel beim Yoga gemacht, aber dieses Gefühl von Verbundenheit mit so vielen anderen Menschen, diese unglaubliche Gemeinschaft und gleichzeitig die Freude über meine „innige Beziehung“ mit Gott habe ich seither nicht wieder erlebt. Trotzdem würde es sich für mich absolut falsch anfühlen, heute noch einmal Teil eines solchen Konzerts zu sein, einfach weil ich keines der Lieder aus vollem Herzen mitsingen könnte. Ich kann und will den da vermittelten Inhalten einfach nicht mehr glauben!
Ich gab Freund:innenschaften auf, von denen mir Gott (bzw. mein charismatisch-fundamentalistisches Umfeld) gesagt hatte, sie wären verkehrt, zu eng oder einfach schlecht für mich.
Ja, fast hätte ich die Liebe zu meinem heutigen, langjährigen Freund aufgegeben für Gott bzw. für das Bild, das in meiner Gemeinde als Gottes Wille für ein gutes Leben gezeichnet wurde. Wenn er nicht glaubt, dann sollte ich mich nicht mit ihm als Ungläubigen unter ein Joch beugen. Die Stimmen von außen waren klar: „Lass dich gar nicht darauf ein!“ Aber ich konnte einfach nicht anders, meine Gefühle waren zu stark.
Und damit hat (nach einem langen, steinigen Weg) ein neues Leben für mich begonnen. Ich investiere Zeit, Energie und Geld in die Dinge, die mir wirklich wichtig sind. Für die ich mich aktiv und bewusst entschieden habe. Ich habe den Kontakt zu einer alten Freundin wieder aufleben lassen und bin immer noch mit meinem Freund zusammen. Und obwohl es mir heute so viel besser damit geht, holt mich die Vergangenheit manchmal ein. Ich trauere dem Leben nach, das ich in einer solchen Unfreiheit geführt habe. Ich bin wütend auf mein früheres Umfeld, das ganze System Freikirche und den dort gepredigten Glauben. Manchmal habe ich Angst, den schlimmsten Fehler meines Lebens gemacht zu haben, indem ich mich von Gott abgewendet habe… Bis ich mich selbst wieder daran erinnere, welche Freiheit und welche Ressourcen ich dadurch gewonnen habe.
Chrissi
Hier geht es zum Beitrag auf Instagram