Ich habe meinen Glauben verloren. Damit meine Zugehörigkeit zur Gemeinde. Damit verloren, was ich glaubte, wäre meine Berufung. Damit die Sicherheit, dass alles nach „Gottes gutem Plan“ verläuft. Damit meine Vorstellungen vom Traumpartner, vom Heiraten und Muttersein.
Ich fühle mich wie das verlorene Schaf. Den Schafstall hinter mir gelassen, in eine neue Welt gestolpert. Im Schafstall gab es klare Regeln: kein Alkohol, kein Sex, keine Parties. In der neuen Welt wird gesoffen, gevögelt und gefeiert. In die alte Welt passe ich nicht mehr, in die neue Welt auch nicht.
Ich vermisse die Sicherheit, die mir die Regeln im Schafstall gegeben haben. Hier war alles so berechenbar und anständig. Die Gemeinschaft, die Freundschaften und die Zugehörigkeit fehlen mir. Eine klar geordnete Welt, in der es auf jede Frage eine Antwort gab. Jetzt habe ich mehr Fragen als Antworten.
Ein Zurück gibt es nicht. Die Enge und Gefangenheit im Schafstall habe ich nicht mehr ausgehalten. Ich bereue die Entscheidungen, die ich getroffen habe, nur um ein gutes Schaf zu sein. Ich möchte keine Gemeinschaft unterstützen, die homosexuelle Menschen ausschließt. Und erst recht nicht auf eine gesunde Ausübung meiner Sexualität verzichten.
Bisher kam kein Hirte, um die Wunden zu verbinden und mich zurückzuholen. Vielleicht habe ich ihn verpasst. Oder ich bin einfach zu weit weggelaufen. Vor allem nicht-christliche Freund:innen kamen, um Trost zu spenden. Keine Prophetie, Gebete oder Lobpreislieder im Gepäck. Sondern Anteilnahme, Empathie und Wertschätzung.
Trotzdem fällt es mir schwer, außerhalb des Schafstalls ein Leben aufzubauen. Diese neue Welt tickt einfach anders. Und ich bin anders als sie. Würde gerne dazugehören, mitmachen und akzeptiert sein. Aber ich kann die alten Werte und Prägungen nicht einfach hinter mir lassen. Sie sind ein Teil meiner Geschichte – die in dieser neuen Welt kaum eine:r versteht.
Wohin also? Zurück zu mir. Zu meinen Bedürfnissen und Wünschen, zu meinen Überzeugungen. Fällt mir ganz schön schwer, diese anzunehmen und zu vertreten. Ich bin es ja so gewohnt es dem Hirten und allen anderen Schafen recht zu machen. Im Schafstall hast du besser keine eigenen Vorstellungen. Der Hirte und der Leithammel wissen ja, was am besten für dich ist.
Nun bin ich dabei herauszufinden, was am Besten für mich ist. Zu schauen, was mein Ding ist, losgelöst vom Schafstall. Zu schauen, was ich gut und nicht so gut finde, in dieser neuen Welt. Zu entdecken, wer ich bin und wer ich sein möchte. Auf jeden Fall: kein Schaf mehr!
Jule
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