Der bockige, nicht der verlorene Sohn

Ich bin aus meiner Freikirche ausgetreten. Endlich. So fühlt es sich für mich an. Scheißgeilesgefühl. Scheißgeilefreiheit. Scheißgeilesleben. 

Für manche bin ich jetzt der verlorene Sohn. So wie der aus der Bibel, der mit Schweinen kuschelt, nur dass ich nicht mit Schweinen kuschel. Obwohl, metaphorisch mache ich viel geile Scheiße, die für mein altes Umfeld  etwas wäre, was man “Schweinekuscheln” nennen würde.

Dabei bin ich nicht verloren gegangen, nicht verirrt. Ich hab mich gefunden. Wieder so ein Scheißgeilesgefühl. Ich bin immer noch Sohn. Bin nicht weggelaufen vom Vater, hab nicht die Sohnschaft gekündigt, nicht das Erbe genommen.

Ich seh mich viel eher als den bockigen Sohn.

Der einen Vater hat, den er grad bisschen scheiße blöd findet. Nicht, weil er wirklich bisschen scheiße blöd ist, sondern weil seine Familie (nicht die leibliche, sondern die übergeordnet geistliche) scheiße ist. Nicht bisschen und nicht nur blöd. Die habe ich verloren. Der habe ich die Freundschaft gekündigt. 

Ich mochte klassische Kirche noch nie wirklich. Ich war noch nie ein sakramentaler Typ und in ehrfürchtige Ruhe und Andacht hab ich auch nie gepasst. Ich will laut sein, leben, lieben.

Freikirche hat mir dann ganz gut gepasst, sogar sehr gut gepasst, hab mich richtig gut drin gefühlt. Aber Freikirche passt mir jetzt nicht mehr. Freikirche passt nämlich nur, wenn man XS oder S trägt. Eng, ohne Luft, eingefügt. Doch ich hab mein Herz geweitet und plötzlich passt Freikirche nicht mehr. Ich kenne keine einzige, die mir noch passt, in der ich keine „gerolltbeleidigte“ Leberwurst bin.

Ich bin trotzdem kein verlorener Sohn. Ich bin der Sohn, der sich sozusagen von der Familienfeier verpisst hat, weil die da ständig über diskriminierende Scheiße reden. Weil die so über Andersliebende, Andersempfindende denken, wie ich nicht über meine schlimmsten Feinde denken will. Und der Vater (der Pummelige in den Wolken) saß einfach da und hat nix gesagt. Der Vater hat nicht zugestimmt, hat selber kein Wort gesprochen, welches andere verletzt, aber hat sich auch nicht dagegen gestellt. Der lässt die machen. Der lässt die da unten einfach machen.

Kein Bock auf die Scheiße. Ich bin in mein Zimmer gerannt und hab abgeschlossen. Nicht, weil der Vater scheiße ist, aber weil er die scheiß Familie Scheiße machen lässt. Ich bin nicht weggelaufen, hab den Vater nicht verlassen, nur die Familie. Aber den Vater will ich grad trotzdem nicht sehen. Der Vater kann mir grad auch gestohlen bleiben. Erstmal. 

Diese Familie, die ich verlassen hab, hat nicht an einem Küchentisch gesessen, sondern auf Kirchenstühlen und sie haben ihre Ansichten hinter moderner Musik und witzigen Predigten versteckt, aber trotzdem war da ziemlich viel Scheiße, Diskriminierung, Ablehnung, Machtmissbrauch. 

Ich glaube noch. Glaube ich jedenfalls. Das passt wenigstens noch. Aber erstmal soll die Tür geschlossen bleiben. Keiner soll mich nerven. Auch nicht der Vater. Ich will ihn nicht sehen, nicht hören, nicht sprechen, keine Nachrichten von ihm lesen. Wie lange, entscheide ich. 

Ich, der bockige, nicht der verlorene Sohn.

Marcel

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