Die Beziehung zu Gott im Spiegel der Bindungstheorie

Eines meiner Lieblingsthemen in den Einführungsveranstaltungen meines Psychologiestudiums war die Entwicklungspsychologie. Besonders das Thema Bindung hat mich dabei gecatcht. Es ist so spannend, wie wichtig Bindung und Bindungserfahrungen von Kindern für eine gesunde Entwicklung und für gute Beziehungen später sind. Ich bin in einer Freikirche aufgewachsen und der Großteil meiner Bindungserfahrungen als Kind war mit Menschen aus der Freikirche. Familien und Kinder sind aus Freikirchen nicht wegzudenken, gerade für diese Zielgruppe gibt es oft die meisten Angebote. Warum also habe ich von dem Thema und der Relevanz von sicherer Bindung erst in meinem Psychologiestudium gehört?

Wenn man sich mit Bindungstypen auseinandersetzt, gibt es da klassischerweise vier (nach Bowlby): sichere Bindung, unsicher-vermeidende Bindung, unsicher-ambivalente Bindung und desorganisierte Bindung. Wie ein Kind an seine primären Bezugspersonen gebunden ist, lässt sich sogar messen.

In der Freikirche werden Kinder schon sehr früh mit dem Konzept von Gott als Person konfrontiert, zu dem sie eine Beziehung aufbauen dürfen oder sollen. Dieser Person von Gott werden auch viele Eigenschaften zugeschrieben und schon früh werden Bibelgeschichten vorgelesen. Pädagogisch sinnvoll wäre es, nur die Geschichten vorzulesen, die für ein Kind in einem bestimmten Alter in der Entwicklung förderlich sind. Also vielleicht nicht direkt die Geschichte, wo Gott 99 Prozent der Menschen und fast alle Tiere ausrottet. Der Regenbogen am Ende ist zwar ganz schön, aber der strafende Gott, dem es kurz danach wieder leid tut, ist keine sichere und vorhersehbare Bezugsperson für Kinder! Und ja: In der Bibel zeigt Gott ambivalentes Verhalten, er zeigt Wut und Aggression, er zeigt wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse von einzelnen Menschen, sobald es nicht seinen Vorstellungen entspricht, er distanziert sich, ist unvorhersehbar und furchteinflößend. Das sind alles Eigenschaften, die einer sicheren Bezugsperson nicht angemessen sind. Dabei gibt es genug Geschichten, bei denen Gott liebevoll ist, verlässlich, emotional stabil, präsent und geduldig. Bitte erzählt den Kindern doch diese Geschichten! Und NEIN, ich meine nicht die Kreuzigungsgeschichte. Ein ermordeter Gott, für dessen Tod man verantwortlich ist, ist keine Kindergeschichte darüber, wie sehr Gott uns liebt!

Heute hinterfrage ich immer wieder, wie sehr die frühe Bindung an einen unvorhersehbaren, liebenden und hassenden omnipräsenten Gott mich und meine Beziehungen zu anderen Menschen geprägt hat… Gut, dass auch als Erwachsene unser Gehirn nicht in Stein gemeißelt ist und wir immer wieder neue Erfahrungen machen können!

Debbie

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