Content Note / Inhaltswarnung: Erwähnung von Homo- und Transphobie
Wenn ich an mein jüngeres Ich denke, denke ich an zwei Versionen von mir.
Der einen, die sich wohl gerade im Grundschulalter befindet, würde ich gerne sagen, dass sie an ihrem Glauben und ihrem Gottesbild festhalten soll. Dass sie sich an die Momente in der Jungschar und auf Freizeiten erinnern soll, in denen sie sich sicher und geborgen gefühlt hat. Die Momente, in denen der Glauben und das Christentum noch keine Bedrohung waren. Ich würde ihr gerne sagen, dass nicht alle Christ*innen gut sind und dass man nicht alles machen muss, um Menschen zu gefallen. Und dass sie sich doch bitte vom ICF fernhalten soll, auch wenn da alle ihre Schulfreund*innen sind.
Mein anderes, etwa 10 Jahre älteres Ich würde ich gerne in den Arm nehmen. Zu dieser Zeit habe ich an einer evangelischen Schule meinen Realschulabschluss gemacht. Ich würde dieser Version von mir gerne sagen, dass das Schlimmste jetzt vorbei ist. 10 Jahre lang wurde mir von (nicht allen, aber viel zu vielen) Lehrkräften dieser Schule kreationistische und evangelikale Scheiße gepredigt. Zu oft haben Lehrende ihre Unterrichtszeit genutzt, um ihr eigenes Weltbild zu predigen. Ein Weltbild, in dem alle Homosexuellen krank sind, geheilt werden können und müssen. Ein Weltbild, in dem trans* Menschen gar nicht erst existieren. Ich würde meinem jüngeren Ich gerne sagen, dass es nicht seine Schuld ist, dass er anders ist. Dass er nicht geheilt werden muss, dass er nicht krank ist, sondern genau richtig so. Ich würde ihm gern erzählen, dass wir in den letzten Jahren so viele Schritte nach vorn gemacht haben, dass wir uns selbst manchmal nicht wiedererkennen. Dass wir geoutet sind und weitestgehend als wir selbst leben und dass wir glücklich sind. Dass wir einen neuen Freundeskreis haben, der uns unterstützt und versteht.
Ich würde ihm aber auch gerne sagen, dass es nicht einfacher wird. Dass wir uns bis heute größtenteils weigern, darüber zu reden, weil wir das Gefühl haben, dass das, was uns passiert ist, nicht schlimm genug sei. Dass es sich bis heute anfühlt, als wäre der größte, bedeutendste Teil von ihm einfach herausgerissen worden. Dass wir uns auch heute (noch) nicht der Indoktrination entziehen können; dass wir manchmal denken, in Selbsthass zu ertrinken. Ich würde ihm gerne sagen, dass er nicht zu schnell zu viel erwarten soll. Dass es an manchen Tagen einfacher ist als an anderen. Dass wir uns auch heute noch nicht vollständig dem Einfluss besagter Schule und Lehrkräfte entziehen können. Dass wir bis heute damit beschäftigt sind, unser Weltbild und unser Wissen zu korrigieren und dass wir vermutlich noch einige Zeit damit beschäftigt sind, Erlebtes zu verarbeiten.
Aber ich denke, das Wichtigste, was ich ihm sagen würde, ist, dass es das alles wert ist. Dass ein Leben als man selbst, ohne den Glauben, tausendmal besser ist als ein Leben, in welchem man ständig mit der Angst lebt, später in die Hölle zu kommen.
Anonym
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