Ich war durch meine Familie geprägte, evangelische Traditionschristin. In meiner Jugend lernte ich dann meine erste große Liebe kennen, die anfangs sehr religiös und durchweg sehr gläubiger Katholik war. Dadurch fing ich an, aus tiefstem Herzen an Gott zu glauben. Leider verlief unsere Beziehung sehr schmerzhaft. Ich wechselte den Wohnort und fand später eine ehrliche Aussprache und Versöhnung mit meinem alten Freund. All das verdankte ich Gott. Trotzdem hatte der Verlust und die Schmerzen, die mein Freund mir zugefügt hatte, tiefe Spuren hinterlassen.
Ich lernte im Theologiestudium an der Uni einen Mitstudenten kennen, in den ich mich verliebte und der mich, statt zu daten, in seine Freikirche einlud. Anfangs war mir diese Gemeinde suspekt, aber gleichzeitig sehnte ich mich nach einem neuen „Gottesbild“. In der Gemeinde schien Gott so anders zu sein: „Gott ist ein Gott des Wohlstands“, „Gott tut alles nur zu deinem Besten“, „als Auserwählte:r beschenkt dich Gott und macht dir dein Leben leicht“. Ich genoss die herzliche Gemeinschaft und die Aufmerksamkeit der Gemeindemitglieder, die ich für mein im Anschluss an das Theologiestudium begonnene Jurastudium bekam – aber auch dafür, wenn ich wieder ein neues, schönes Kleid trug.
Ich ertrug den Schmerz über den Studienfreund, der mir falsche Hoffnungen machte und mich hinterher hinstellte, als sei ich bescheuert, zu denken, dass er mich mögen könnte. Ich fühlte mich durch den Konflikt mit ihm und seiner stetig währenden Einsicht nicht mehr wohl in der Gemeinde und machte eine längere Pause von der Jugendgruppe und den Gottesdiensten. Später sagten andere ältere Gemeindemitglieder und der Pastor mir nur, dass man Leid ertragen sollte, weil es von Gott gewollt wäre und es in anderen Gemeinden auch nicht „besser“ wäre. Außerdem wäre es kein Grund, nicht mehr zur Gemeinde zu kommen. Seine engen Freund:innen standen alle hinter ihm. Danach war ich noch zweimal innerhalb der Kirche verliebt, aber es lief ähnlich seltsam und führte zu keiner Beziehung. Ich sehnte mich danach, in der Gemeinde mitzuarbeiten, aber merkte, dass das, was ich predigen wollen würde, nicht das war, was man dort hören wollte. Außerdem traf ich weiter meine evangelischen Theologiefreund:innen, was nicht gerne gesehen war.
In diesen Jahren lief einiges schief im Studium, mit Männern und Freund:innenschaften. Ich hatte das Gefühl, dass Gott meine Gebete nicht erhört. Ich hatte das Bild gewonnen, dass Gott ein Beschenker ist und vielmehr noch, dass er für mein Leid verantwortlich ist. Das passte nicht zu meinen vielen Rückschlägen und meiner vielen Trauer. Ich begann, richtig wütend auf ihn zu werden. Irgendwann konnte ich nicht mehr beten. Und als ich schließlich aus der Gemeinde austrat und meine Gründe erklärte, bekam ich keine Antwort.
Ich glaube auch jetzt noch an Gott. Aber mir fällt es schwer, in die Kirche zu gehen. Und beten geht gar nicht. Ich habe noch etwas Kontakt zu meinen Hauskreisleuten. Sie sind insgesamt auch etwas liberaler eingestellt. Jedoch ist ihre einzige Antwort auf meine Zweifel und mein Hadern mit Gott nur, dass sie für mich beten. Mehr nicht. Das verletzt mich sehr. Deshalb gehe ich nicht mehr oft zu den Hauskreistreffen.
Aktuell erwarte ich ein Kind von einem Muslim. Gleich kam die Frage von einer Person aus dem Hauskreis, ob wir über den Glauben sprechen würden. Ich meinte, dass wir uns neutral und offen darüber austauschen. Sie hatte irgendwie mehr erwartet und meinte dann, dass Gott bestimmt noch mehr mit uns vorhätte (ihrer Meinung nach soll ich ihn vermutlich zum Christentum bekehren). Dabei möchte ich das nicht. Für uns sind unsere Religionen mit unserer Heimat, bzw. mit dem Gefühl, „nach Hause zu kommen“, verbunden.
anonym
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