Meine Apokalypse

Content Note / Hinweis: Der folgende Text behinhaltet Thematisierung von Hölle.

Meine kindlichen Erfahrungen mit Kirche waren nicht besonders intensiv. Ab und an mit meiner Oma oder meiner Mutter in die Kirche gegangen, aber nie so richtig was verstanden oder mitgenommen. Alles eher zwanglos und locker.

Als ich dann 14 war, in einer Phase, in der meine Eltern ziemlich in Schwierigkeiten steckten, lernten sie eine Gruppe von frei evangelischen Christen kennen. Anfangs waren Bibelkreise zuhause an­gesagt, sonntags dann Gottesdienst in der ­Gemeinde. Ich konnte nichts so richtig mitnehmen oder verstehen, die zwei- bis dreistündigen Bibelkreise zuhause oder die Predigten in der Gemeinde langweilten mich. Ebenso die Lobpreislieder. Aber als mal das Thema Entrückung und Apokalypse dran war, wurde ich sehr hellhörig. Und bis heute lässt mich das nicht mehr los. Meine weitere Pubertät und das Teenageralter verliefen etwas turbulent. Die freie evangelische Gemeinde brach aufgrund diverser Skandale wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Im Alter von 21 und in einer Phase der Perspektivlosigkeit kam ich durch meine Eltern in eine freie Pfingstgemeinde. Alles fühlte sich so richtig und gut an. Ich ließ mich taufen und ein Jahr später war ich verheiratet. Ging mehrmals die Woche in die Gemeinde, das hielt auch für ca. sechs Jahre an. Dann begann langsam meine Dekonstruktion, mit Zweifeln, dass alles nicht so sein kann, wie geschrieben und gepredigt. Zunehmend kam mir das Gefühl auf, niemals gut genug zu sein, um ent­rückt zu werden, wenn es soweit ist. Ich bin nicht der Typ, der andere missionieren kann oder will. Dementsprechend plagten mich immer wieder mal Schuldgefühle und Ängste. Dass mein Lohn im Himmel entsprechend gering sein wird. Dass mich Jesus vor dem Vater verleug­nen würde, weil ich ihn verleugnet, bzw. nicht verkün­det hatte. Aber vor allem: Dass ich bei der Ent­rück­ung nicht dabei sein würde.

Zusätzlich hat sich eine Neurosen-ähnliche Gewohnheit bei mir eingestellt: Immer „Vergib mir Jesus, dass ich gesündigt habe, ­reinige mich bitte mit deinem heiligen Blut!“ zu beten, wenn ich wieder mal vermeintlich gesündigt hatte. Es hat mich sehr belastet. Es hat dazu geführt, dass ich richtige Ängste entwickelt habe und nur noch ­pessimistisch in die Zukunft geschaut habe. Es ­folgten teilweise Panikattacken. Weil mich auch Fragen beschäftigt haben wie: Was blüht mir morgen, wenn ich aufwache? Wenn ich nicht aufwache, was dann? Was wird aus meiner Seele, wenn ich nie wieder aufwache? Welche Strafe werde ich zahlen müssen für all meine Fehltritte? Werde ich für immer in der Hölle schmoren, weil ich nicht der sein konnte, der ich hätte sein sollen? Was war mit dem sogenannten freien Willen? Muss ich bestraft werden, weil ich eben diesen freien Willen ausleben wollte? Aber wer und wie soll ich denn sein? Was ist meine Vorbestimmung?

Mittlerweile hab ich mich davon zum größten Teil losgelöst, doch noch immer flackern gewisse Ängste in mir auf, auch während ich diese Zeilen hier tippe, dass ich z. B. für meine Abtrünnigkeit oder Ungehorsam bestraft werden könnte. Ich kann mich nicht mehr für Bibel, Gemeinden, Beten und Gottesdienste begeistern. Und muss mir von einigen anhören, dass ich nie „richtig geglaubt“ habe, nie „wiedergeboren“ wurde…

Aber ich habe das Gefühl, einer richtigen Freiheit näher zu kommen.

Anonym

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