Vom Umgang mit Personen, die anders oder nicht glauben

… aus der Sicht einer Person, die mittlerweile beide „Seiten“ kennt. 

Ich ertappe mich immer wieder schockiert darüber, mit wie viel Selbstverständlichkeit es viele Gläubige gewohnt sind, andere im Alltag ihrem Glauben zu konfrontieren. Ein Bibelvers per Whatsapp hier, ein Kalender mit Bibelsprüchen da, „Gottes Segen“ und „Ich bete für dich!“ bei jeder Gelegenheit, und als erste Antwort auf die Frage „Wie geht es dir?“ eine begeisterte Erzählung über die letzte Gebetserhörung. 

Und die, die nicht glauben? Sie sind ganz oft leise, weil sie keine religiösen Gefühle verletzen wollen. 

Der Bibelkalender wird dankend angenommen, auch wenn man ihn vor dem inneren Auge schon in den nächsten Mülleimer wandern lässt. 

Auf „Gottes Segen!“ ein „Dir auch noch einen schönen Tag“, 

auf Erzählungen über das Gemeindeleben ein peinlich lächelndes „Schön, dass es dir dort so gefällt“. 

Als ich noch evangelikal-fundamentalistische Christin war, war es für mich absolut selbstverständlich, anderen von meinem Jesus zu erzählen – ein Bibelvers hier, ein Link zu einer Youtube-Predigt da, ein Kalender mit Bibelsprüchen zu Jahresende an alle Freund:innen (egal ob sie christlich waren oder nicht, sie mussten ja immerhin auch mal die Wahrheit hören), eine Einladung zum nächsten Worshipevent, ein „Gott liebt dich und hat einen Plan mit dir“ als Standardspruch für sämtliche sonst eher schwer zu lösende Situationen.

Aber wehe, jemand wäre darauf gekommen, mir mal einen atheistischen Vortrag zu schicken, oder einen Kalender mit buddhistischen Sprüchen… „Was soll das?“, hätte ich gedacht und entsetzt reagiert, „du weißt doch genau, dass ich Christ bin?!?“

Ich glaube man merkt, worauf ich hinaus will. 

Ich glaube mittlerweile selbst nicht mehr. Ich sehe viele Dinge grundlegend anders. Ich kämpfe mit den Folgen einer Kindheit und Jugend in einem fundamentalistischen Glaubenssystem. 

Und ich weiß jetzt, wie man sich als andersgläubige oder atheistische Person in einem sehr christlichen Umfeld fühlt: Nicht gesehen. Zum Schweigen verurteilt. Immer eine Rechtfertigung parat haben zu müssen. Immer zwei Schritte vorausdenken und versuchen, nicht unabsichtlich eine Predigt auszulösen. Ständig auf der Lauer zu sein, nichts Falsches zu sagen, keine religiösen Gefühle zu verletzen. 

Liebe Gläubige, bitte glaubt mir, wenn sich andersgläubige oder nicht-mehr-gläubige Menschen von euch distanzieren, ist das nicht, weil sie böse sind oder sich nicht mehr für euch interessieren… Es ist ganz oft, weil sie wissen, dass es für ihr neues Ich – mit ihren neuen Ansichten – bei euch keinen Raum gibt. 

Die Bibelverse, die mir nach wie vor gesendet werden? Die Einladungen zu Gottesdiensten? Das „Ich bete für dich!“ vor meinen Prüfungen? Die Frage danach, ob ich das Tischgebet sprechen mag? All die Predigten und christlichen Vorträge, die mir geschickt werden? Ich toleriere sie wortlos, weil mir zu viel an den Beziehungen zu diesen Personen liegt. 

Und all die Dinge, die mich beschäftigen, die sich um Dinge wie Atheismus, Humanismus oder Evolution drehen?

Die Dinge, die mich begeistern, die Bücher, die mich faszinieren, die Vorträge, die ich mir 100 mal anhören könnte? 

Die Freiheit und Lebensfreude, die mich erfüllt, seitdem ich den Glauben verlassen habe?  

Nie in 100 Jahren würde ich wagen, sie mit mir nahestehenden gläubigen Personen zu teilen, weil

„Was soll das, sie weiß ja, dass wir Christen sind!“

und so bleiben wir lieber bei den Bibelversen. 

Möge dies ein kleines Plädoyer für mehr Sensibilität sein. 

Von Sarah (Instagram: @sarah_schreibt)

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