Weihnachten

Obwohl wir nicht bei den Zeugen Jehovas waren, hatte mein Vater Weihnachten „abgeschafft“. Er meinte, es sei ein heidnisches Fest und kein christliches. Der Rest der Familie fand das blöd, aber gegen den „Herrn im Haus“ kamen wir nicht an. Es war dann alles Weihnachtliche verboten: Deko, Musik, Besuch von Weihnachtsgottesdiensten. Ich kann mich aber noch erinnern, ab und an mit meiner Mutter heimlich bei Adventsmärkten oder beim Weihnachtssingen gewesen zu sein. Wir waren dann halt mal länger einkaufen…

In der fundamentalistischen Glaubensgemeinschaft, der wir beitraten, als ich ein Teenager war, wurde diese Angelegenheit differenziert gesehen. Mit Verweis auf Römer 14, wo es um unterschiedliche Ansichten zu Feiertagen und Speisen geht, hieß es, beide Sichtweisen wären erlaubt. Also: Wer kein Weihnachten feiern wolle, dürfe das tun. Und wer Weihnachten feiern wolle, ebenso. Unsere Glaubensgemeinschaft, eigentlich wohl eher Sekte, bot selbst auch Weihnachtsgottesdienste an. Römer 14 war im Übrigen die einzige Art von Toleranz, die ich in dieser Sekte je erlebt habe. In anderen Fragen gab es eine solche Freiheit, zu wählen, nicht.

Da ich Weihnachten schön fand, war ich dann im jungen Erwachsenenalter zu Weihnachten bei anderen Menschen aus unserer Sekte zum Feiern und meine Eltern hatten das Nachsehen. Obwohl Weihnachten bei ihnen abgeschafft war, wurde mir von ihnen ein schlechtes Gewissen gemacht, weil ich nicht nach Hause gefahren war. Na ja.

Für mich ist Weihnachten also ein Fest, das ich erst nach meinem Ausstieg ganz ohne schlechtes Gewissen feiern konnte. Weil mir dann die Meinung meines frommen Vaters egal wurde. Ich dekoriere schon in der Adventszeit weihnachtlich, mache mir am Fest selbst gutes Essen, höre schöne Musik, lese ein schönes Buch oder schaue einen neuen Film. Geschenke auspacken ist natürlich ein Highlight. Mit ein paar Freund:innen tausche ich immer noch Geschenke aus an Weihnachten, obwohl wir alle keine 20 mehr sind. Aber es macht trotzdem Freude, weil ich spüre: Da denken Menschen an andere, auch an mich.

Für mich ist es einfach ein Fest, das wir aus kultureller Tradition heraus feiern. Ein Fest der Märchen, bei mir eher nordisch als christlich geprägt, weil ich mal in der berühmten Apotheke von Tondern in Süddänemark einkaufen war – dort bekommt man das ganze Jahr über Weihnachtsdeko mit niedlichen Trollen, Elchen und so weiter. Genau der heidnische Teil von Weihnachten, der meinen Vater so in Wut versetzt hatte…

Dieses Jahr bedrücken mich Krieg, Krisen und persönliche schwere Erlebnisse zu sehr, um mich wie sonst auf Weihnachten freuen zu können. Aber ich habe an meinen Routinen festgehalten, den künstlichen Weihnachtsbaum schon aufgestellt und es mir mit LED-Kerzen gemütlich gemacht. Für die Weihnachtswoche habe ich auch noch zwei Einladungen für Adventstreffen. Das finde ich toll! Menschen, die an mich denken und mit mir für eine Stunde oder zwei zusammen sein wollen. Das wird mir sicher helfen, noch etwas mehr in festliche Stimmung zu kommen. Auch wenn ich an den Feiertagen selbst wie üblich „allein“ sein werde (in Anführungszeichen, weil Haustierhalter:innen nie ganz allein sind). Ich habe mir ein Spiel besorgt, das man auch solo spielen kann, und damit will ich mir dann die Zeit vertreiben. Ich glaube, es ist wichtig, für sich selbst so zu sorgen, auch wenn es schwierige Zeiten sind. Dann kann Weihnachten trotz allem ein schönes Fest werden. 

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten allen! 

Robin

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