Contentwarnung: im folgenden Artikel werden Krebs und Tod thematisiert.
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich vor mir.
Wie du dir die goldenen Ohrringe ansteckst, mich im Spiegel bemerkst und lächelst. Wie du dir über die Glatze streichst. Seit ein paar Monaten lebten wir mit der Diagnose Krebs. Vorher warst du ein lebensfroher Mensch, viel unterwegs und wusstest immer, wo es lang gehen wird. Der Krebs hat dir nicht nur die Haare genommen.
Ich spüre einen Stich im Herzen. Du bist nicht mehr da und fehlst mir unendlich.
In der Schule konnte ich mich kaum noch konzentrieren, denn ich musste immer an dich denken. Meine Gebete wandelten sich, statt für gute Noten zu beten flehte ich zu Gott, er möge dich heilen. Ich wollte nur noch, dass du gesund wirst. Wie sollte ich mein Leben ohne dich schaffen?
Als ich in der Freikirche bekannt gab, dass du tot seist, war die erste Frage, ob du christlich warst. Hätte ich das bejaht, hätten sie zu mir gesagt, dass ich keinen Grund zur Trauer hätte. Doch du warst nicht gläubig und dann begannen sie von der Hölle zu erzählen. Ich hatte große Angst um dich.
Sie sangen in der Kirche, dass uns alles zum Besten dienen wird. Doch das hat es nicht. Noch Jahre später fehlst du mir und es zerreißt mir das Herz, wenn ich an all die Momente denke, die ich ohne dich erleben musste.
Ich suchte nach dem Sinn und dem Grund deines viel zu frühen Todes.
Sie sagten, wenn jemand gläubig genug war und stirbt, soll man nicht traurig sein, weil die Person dann im Himmel sei.
Sie sagten, Gott hole Menschen zu sich, um uns an unsere Endlichkeit auf Erden zu erinnern und daran, dass wir viele Menschen zur Umkehr missionieren sollen.
Sie sagten, Gott nähme uns Dinge, die uns viel bedeuten, wenn sie zu unseren Götzen werden oder wir sie über Gott stellen.
Sie sagten, Gott schicke uns schwere Schicksale, um unseren Glauben zu testen.
Wie grausam wäre ein Gott, der Menschen umbringt, nur um den Glauben zu testen? Oder ein Gott, der einen Menschen an einer schweren Erkrankung wie Krebs erkranken lässt, ihn durch schmerzhafte Behandlungen schickt, um ihn anschließend in die Hölle zu werfen?
Wenn Gott so drauf ist, dann möchte ich mit ihm nichts mehr zu tun haben.
Mein Glaube hat dieser Krise nicht standgehalten. Mir hilft der Gedanke, dass der Krebs nicht von einem Gott gegeben war, sondern dass es lediglich ein schrecklicher Zufall war. Denn das ist für mich leichter zu ertragen, als wenn er von einem Gott gegeben wurde, um meinen Glauben zu testen und einen lebenslangen Schmerz hinterlässt.
anonym
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