„Zwischen uns liegt ein ganzes Universum“: LGBTQIA+ – Ein Erfahrungsbericht

Zum Schutz der genannten Personen wurden alle Namen geändert.

Was bleibt, ist eine Lücke.

Rahel und ich lernten uns im Kindergarten kennen. Mit 4 Jahren. Wir wurden sofort beste Freundinnen. Rahels Familie ging in die Freikirche bei uns im Ort. Sie nahm mich erst in die „Kinderstunde“, dann in die „Teensgruppe“ und später in die „Gemeindejugend“ mit. Wir verbrachten einige christliche Sommerlager zusammen. Meine Eltern sahen das immer kritisch, aber ich mochte die Gemeinschaft, das Singen und vor allem, Zeit mit Rahel zu verbringen. Das war mir immer das Wichtigste. Zeit mit Rahel. Wir hatten eine wunderbare Kindheit zusammen.

Sie war für mich da und ich für sie.

Zu unserer zehnjährigen Freundschaft schenkte ich ihr einen Ring. Sie konnte damit zunächst nicht umgehen. Einige Zeit später schliefen wir miteinander. Es war unser beider erstes Mal. Später sagte sie mir, dass sie es sehr schön fand, aber dass sie auch wüsste, dass das Sünde sei und es dürfe nicht mehr passieren. Rahel fand dann einen Freund und ich outete mich als lesbisch. Ihr Freund Johannes war ebenfalls in einer Freikirche. Er äußerte Bedenken, dass Rahel mit mir in Urlaub fährt, da ich lesbisch sei und wir in einem Zelt schlafen würden. Heute weiß ich, dass ich für Johannes eine Bedrohung war. Damals war es mir einfach nur peinlich, ich fühlte mich falsch. Das war es immer, was mir dann von Rahels Gemeinde vermittelt wurde: Jesus liebt dich, aber lesbisch sein ist falsch. Ich zog mich nach und nach aus der Gemeinde zurück, fand queere Freund:innen und bekam in dieser neuen Gruppe vermittelt, dass ich sehr wohl richtig bin.

Johannes und Rahel verlobten sich. Bei einem gemeinsamen Treffen sprachen sie über die Jungfräulichkeit bis zur Ehe. Wie wichtig diese sei, um gemeinsam eine Beziehung zu Gott zu haben. Johannes wusste also von nichts. Ich sagte auch nichts, denn ich wollte Rahel nicht schaden, das wollte ich nie.

Kurz vor der Hochzeit telefonierten Rahel und ich und sie sagte mir, das zwischen uns, das sei nie passiert. Ich dürfe nie wieder darüber sprechen.

Heute ist Rahel dreifache Mutter und hatte zwei Fehlgeburten. Als sie das erste Kind bekamen, sagte Johannes: „Wir haben so früh angefangen, weil wir Gott viele Nachkommen geben möchten“. Rahel schaute da nur still auf ihre Füße.

Mit tut es bis heute weh, Rahel so zu sehen, darum habe ich nach und nach den Kontakt zu ihr gemindert. Das ist ihr Weg, den sie mit Johannes für Jesus gehen möchte. Wer bin ich, sie davon abzuhalten?

Sie weiß nicht, dass ich mich mittlerweile als nichtbinär geoutet habe und einen neuen Namen trage. 

Ich vermisse Rahel sehr. Ich könnte einfach in den Zug steigen und wäre in Kürze bei ihr.

Aber zwischen uns liegt ein ganzes Universum.

Anonym

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