Die Gottesdienste liefen immer nach einem ähnlichen Schema ab. Nach einem ersten Lobpreislied, das die Menge abholen sollte, wurde bald in eine ruhige Phase übergeleitet – emotional drückende Lieder mit Texten, die sich darum drehten, wie verloren der Mensch ist und wie groß Gottes Opfer war, um ihn zu retten. In diesen Lobpreiszeiten kam es oft zu frei gesprochenen Gebeten, Zungenrede (ein ekstatisches Lallen von Lauten und Silben) und prophetischen Eindrücken. Danach folgten Ankündigungen rund um das Gemeindeleben, eine Predigt (meistens durch den Pastor oder einen der „Ältesten“), oft ein Altarruf (eine Einladung zu einem „Lebensübergabegebet“) und an manchen Sonntagen im Monat das gemeinsame Einnehmen des Abendmahls.
Ein fixer Bestandteil der Gottesdienste in meiner Heimatgemeinde war auch immer das Einsammeln der „Kollekte“: Das Durchreichen von Spendenkörben – die Kosten für die Abhaltung der Gottesdienste, für Missionsprojekte und für das Gehalt der Pastoren mussten ja irgendwie gedeckt werden. Dieses Einsammeln wurde mit einer eigenen kurzen Predigt eingeleitet und oft durch Musik untermalt: „Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“, „Gebt, so wird euch gegeben“, und immer wieder fiel das Wort „der Zehnte“.
Ich weiß von vielen Gemeindemitgliedern, die tatsächlich jeden Monat 10% ihres Einkommens an die Gemeinde gespendet haben. Und ich habe auch gespendet… selbst dann, als ich selbst nicht genug hatte. Selbst dann, als das Taschengeld kaum reichte, als ich das Geld eigentlich für andere wichtige Dinge gebraucht hätte. Aber wenn man von Kind auf hört, dass Gott die Finanzen segnet, wenn man ihm treu gibt, dann hat man große Angst davor, was passiert, wenn man nicht gibt. In Zeiten, in denen das Geld knapp war, fragte ich mich, ob das die Konsequenz von zu wenig Beitrag an den Spendenkorb Gottes waren.
Ich erinnere mich an den inneren Konflikt, als ich meinen allerersten Gehalt bekam, und ihn so dringend für andere Dinge gebraucht hätte. Ich habe mich nicht getraut, ihn ganz für mich selbst zu behalten. Zu groß war die Angst, Gott schon beim allerersten Lohn zu kränken, und dann für mein restliches Leben finanziell nicht gesegnet zu sein. Und wie so oft, als ich gegeben habe, habe ich mich zur Freude gezwungen, denn „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb“ und sonst wäre es ja erst recht umsonst.
Es dauerte lange, mich von dieser Angst zu lösen, und kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, den Spendenkorb an mir vorbeigehen zu lassen. Und es war schwierig, nach dem Ausstieg einen gesunden, von Angst befreiten Umgang mit Geld zu lernen.
anonym
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