Contentwarnung: Im folgenden Text werden die Themen
Körperliche und psychische Gewalt gegen Minderjährige behandelt.
Gehört dieses kleine Mädchen geschlagen, gehört ihm jeder freie Wille gebrochen im Namen Gottes? Gehört dieses kleine Mädchen in den Staub getreten, damit es ja demütig vor Gott wird in seinem weiteren Leben – vorbeugend schon zigmal gedemütigt?
Ist dieses kleine Mädchen so gefährlich für Menschen und für Gott, wenn man seinen Willen nicht bricht? Muss man diesem kleinen Mädchen klarmachen, dass es zu laut sei bei eigenen Lebensäußerungen? Ihm sagen, dass man so nicht liefe, man nicht so „freizügig“ säße als Mädchen, dass man nicht so lache wie es diesem kleinen Mädchen eigen war.
Und vor allem sei es eine Sünderin von Anfang an, sei es Schuld am Tod Jesu. Und man sähe in einem kleinen Kind bereits, dass der Teufel Macht habe. Und man müsse alles verhindern, was den Erwachsenen an Lebendigkeit gefährlich werden könnte.
Da blieb nicht mehr viel übrig – es hatte einmal gerne gesungen, fröhlich wie ein Vögelchen, liebte Musik über alles, war kreativ…
Ich war dieses kleine Mädchen, diese große Sünderin. Dabei wäre ich gerne Pippi Langstrumpf gewesen und hätte die wirklich dummen Großen mal eben hoch gehoben und auf den Schrank gelegt, wie die tolle Pippi Langstrumpf dies mit den Ganoven gemacht hatte. Ich hätte gerne nach meinem Vater gesucht, der sich als Kapitän in der Ferne nach seinem kleinen Mädchen die Augen vor Sehnsucht ausweint, so dass man das Taschentuch auswringen konnte, wie bei der unvergleichlichen Pippi Lotta. Aber ich hatte keinen Vater, der weinen konnte – schon gar nicht nach seinem Töchterchen. Und Pippi Langstrumpf ist verboten in diesen Kreisen: Sie ist zu stark, zu aufmüpfig und sei daher gefährlich für die Erziehung. Die Kinder könnten Größenfantasien entwickeln. Also hatte ich leider noch nicht einmal diese schönen, tröstlichen Fantasien…
Aber heute rette ich dieses kleine Mädchen, das ich einmal war. Befreie es von diesem angeblichen Sünderinnendasein, befreie es zur Lebendigkeit, Fröhlichkeit, zum Singen und Lachen und zur Kreativität. Und ich lasse nicht mehr zu, dass es gedemütigt und in den Dreck getreten wird. Ich stehe auf, recke mich und kein Gott muss mich aufrichten. Und ich entdecke meinen eigenen Willen und will selbst gucken, wo und wie sich dieser umsetzen lässt und will mich an ihm freuen, da er etwas sehr Wertvolles ist.
Und dann entdecke ich noch, dass dieses kleine Mädchen auf dem alten Foto eigentlich ganz süß und liebenswert ist und nicht abartig, ablehnenswert. Ich umarme es und heiße es willkommen. Damals tat dies niemand, heute kann ich es tun und niemand hat das Recht, es wieder in Grund und Boden zu stampfen, auch kein Gott, den es für mich nicht gibt…
Erja
Hier geht es zum Beitrag auf Instagram