Als ich mich vor etwa drei Jahren von meinem Weltbild und Glauben verabschiedete, war ich erleichtert. Ich musste nicht mehr vor dem Einschlafen beten, Gott für alles danken und um Vergebung bitten. Ich konnte all die Dinge tun, die ich wollte. Lieder hören, die Gott nicht ehrten, daten wen ich wollte, mir meine eigenen Werte aneignen und mich meinen Interessen mit Begeisterung hingeben. Gott fehlte mir nicht, ich fühlte mich befreit. Eine Last war abgefallen.
Ich dachte mir, so einfach könne das doch nicht sein. Seit ich klein war, wurde ich indoktriniert und jetzt mit 18 Jahren glaube ich nicht mehr daran und mir fehlt es an nichts. Ich hatte das Gefühl, dass mich meine Vergangenheit irgendwann einholen würde, vielleicht in ein paar Jahren.
Ein gutes halbes Jahr später war es dann soweit. Ich bekam erste Angstzustände, Panikattacken und entwickelte in den nächsten Monaten eine ausgeprägte Angststörung, die mich in meinem Sozial- sowie Berufsleben immens beeinträchtigte.
Ich verstand nicht, was mit mir los war. Mir ging es grottenschlecht und ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich mit meinen Ängsten, Gedanken und Gefühlen umgehen sollte.
In meiner Psychotherapie sprach ich über vieles, das in meiner Vergangenheit vorgefallen war. Mir war klar, dass meine Angsterkrankung nicht allein wegen meiner christlich geprägten Kindheit entstanden war, aber auch, dass sie keinen unerheblichen Anteil an meiner jetzigen Situation hatte.
Heute kann ich dank professioneller Therapie und liebevoller Mitmenschen wieder ein gutes Leben führen. Es ist an manchen Tagen noch immer nicht leicht, aber es wird – Heilung ist ein Prozess.
Eine Sache wurde mir in den letzten Monaten sehr bewusst: Ich musste nach dem Ausstieg lernen, ohne den mich unglaublich liebenden Gott auszukommen. Ich hatte nicht gelernt, zu mir selbst lieb zu sein. Brauchte und sollte ich nicht. Ich war Sünderin. Dafür hatte ich einen liebenden Gott an meiner Seite, der mir Selbstwert schenkte. Nach dem Ausstieg dachte ich, ich brauche keine Selbstliebe. Der strafende Vater im Himmel fiel weg, aber auch der liebende war nicht mehr da. Was blieb, war der harte und strenge Umgang, den ich mir mit mir selbst angeeignet hatte.
Nun weiß ich, dass die Liebe, die ich scheinbar vorher von Gott bekommen hatte, schon immer aus mir selbst kam. Dass ich als Mensch Liebe und Selbstachtung brauche. Ja sogar verdient habe – ohne etwas dafür leisten zu müssen. Ich lerne mehr und mehr, sanft und liebevoll mit mir selbst zu sein und merke, wie heilsam es ist.
Ich brauche keinen Gott – aber ich brauche Liebe und Mitgefühl mit mir selbst.
Anonym
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