Opfer von Fundamentalismus – Wie ich mir meine Freiheit zurück erkämpfte (und immer noch tue)

Triggerwarnung: Der folgende Text beinhaltet Thematisierung von sexualisierter Gewalt und Erwähnung von körperlicher Gewalt gegen Minderjährige im Häuslichen.

Ich bin nicht in einer Freikirche aufgewachsen. Ich habe die Bibel erstmal ohne fundamentalistische Vorbelastung gelesen und kontextualisiert, mich mit unterschiedlichen Philosophien beschäftigt und durch eigene Erfahrungen hat sich dann mein Gottesbild entwickelt.

Da ich es sehr liebte (und liebe) die Bibel mit anderen zu studieren und zu diskutieren, hat mir der Gedanke einer christlichen Gemeinde gut gefallen. Zu Beginn war ich in einer sehr konservativen evangelikalen Gemeinde. In dieser habe ich immer wieder von Aussteiger:innen gehört, ohne zu wissen, dass ich selbst einmal zu ihnen gehören würde und die gleichen Urteile über mich gefällt werden.

Der Gedanke daran tut mir sehr weh, da ich die meisten Menschen dort sehr liebte. Sie waren meine besten Freund:innen und meine Familie. Ich war gerne ein Teil der großen Jugendgruppe, auch wenn ich immer eine Querdenkerin war.

Da ich ein sehr offener Mensch bin, war ich eine Zeitlang auch in einem evangelistischen Jugendleitungsteam einer charismatischen Missionsgesellschaft. Ich habe immer schon großes Verständnis für Menschen gehabt, egal woran sie geglaubt haben. Mein Einfühlungsvermögen, meine Liebe dafür von Jesus zu erzählen, aber mich auch mit kritischen Fragen, unterschiedlichen Philosophien und Weltanschauungen zu beschäftigen, wurden zu Anfang sehr bewundert.

Nach einiger Zeit merkte ich jedoch, wie ich dafür ausgenutzt wurde. Es war, als würde ich in einem Unternehmen arbeiten, dessen Vision es war, ganz Österreich zu „bekehren“ und ein „himmlisches Königreich Gottes“ auf dieser Welt aufzubauen. Je mehr ich diese Einstellungen und Lehrprogramme in Frage stellte, desto mehr wurde ich zur Seite gedrängt.

In dieser Zeit habe ich sehr viel erlebt. Fremdbestimmung, Patriarchat, Purity Culture, Ausschlüsse, Streit, Gemeindespaltungen. Ich wurde von einem scheinbar christlichen Mann emotional, psychisch und sexuell manipuliert und missbraucht. Und schlussendlich wurde ich aus meiner ursprünglichen Jugendgruppe hinausgeschmissen, da ich eine junge Familie beim Jugendamt anzeigte, weil sie ihr zweijähriges Kind im Namen Gottes nach einem Buch von Tedd Tripp „körperlich züchtigten“.

Ich habe lange gebraucht und brauche immer noch viel Zeit, diesen emotionalen und geistlichen Missbrauch zu verstehen und zu verarbeiten. Vieles vermisse ich und ich frage mich oft, ob alles hätte anders sein können.

Gleichzeitig werde ich von meinen früheren fundamentalistischen Freund:innen als Christin degradiert, als „die Abgefallene“ bezeichnet, ich würde in Sünde leben und wahrscheinlich war ich niemals gläubig. Meine gesamte Persönlichkeit und mein Leben werden in Frage gestellt, ohne mich zu fragen, was ich wirklich denke, fühle und glaube. Das ist wohl das Verletzendste von allem. Freundschaften zerbrechen aufgrund von Fundamentalismus.

Ich kämpfe immer noch dafür, frei leben zu können, eine freie, selbstbestimmte Frau zu sein, frei von den Urteilen anderer, anerkannt und angenommen, so wie ich bin und meinen Glauben frei von Fundamentalismus leben zu können. Oft fühle ich mich auf meinem Lebensweg alleine.

Lisa

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