Von Hunden und Katzen

Ich mag Hunde. Als blasse Dreizehnjährige besitze ich einen. Meine Mama ist vor einigen Monaten ausgezogen und jetzt erlaubt sie mir und meiner Schwester endlich einen Hund. Ein sturer Retriever-Dackel-Mischling aus dem Tierheim, der erst Rufus heißt und von uns kurzerhand in Jonny umgetauft wird, zieht ein. Er lernt nie auch nur einen Trick, stinkt fürchterlich aus den Ohren und ist mein ganzer Stolz. In dieser Zeit denke ich, dass es in diesem Leben entweder Hunde- oder Katzenmenschen gibt. Genauso wie es entweder Christ:innen oder Verlorene gibt. Denn ich wachse in einer christlich fundamentalistischen Familie auf, die genau auf dieser Ideologie basiert. Entweder man ist richtige:r, wiedergeborene:r Christ:in oder für die Ewigkeit verloren. Dementsprechend ist mein Glaube das Objektiv, durch das ich alles im Leben sehe. Meine Träume, meine Tagesstruktur, mein Liebesleben und insbesondere meine Identität als Frau.

Ich bin ein extrovertierter Teenager auf der Suche nach mir selbst. Meine Zwillingsschwester trägt jetzt neuerdings Hippiekleidung, also kleide ich mich chic. Aber auf das Außen soll man nicht so einen Wert legen, sagen sie in meiner Gemeinde. Was zählt ist mein Seelenheil. Ich bin Gottes geliebtes Kind. Also darf es keinen Schatten in meinem Leben geben. Glauben gibt es für mich nur in Form des Lichts und Erklärungen, so verstehe ich die Predigten jeden Sonntag. Meistens gehe ich dann morgens und abends. Ich bin Gottes auserwählte Himmelstochter. Also benehme ich mich auch so, ins Schulsystem passe ich perfekt. Ich bin Jesu Braut. Die Mädchen in der Klasse erzählen von ihren ersten Freunden. Im Geheimen träume ich davon, auch einen zu haben. Aber das Buch auf meinem Nachtisch: „Ungeküsst und doch kein Frosch“ gibt ein Heilsversprechen für eine erfüllte Ehe samt prickelnden Sexleben, wenn man sich nur an die Regeln hält. Und die Erste dieser Regeln heißt kein Küssen vor der Ehe. Ich bin 13 und es gibt in meiner gesamten Jugend kein einziges Date. Ich will diese Aufgabe nämlich besonders gut erfüllen. Mein WWJD-Armband erinnert mich ständig daran, gar nicht erst zu lernen, auf meine innere Stimme zu hören. Aber wer gewinnen will in diesem Spiel, hat auch Angst vorm Verlieren. Und ich habe Angst. Eigentlich immer. Angst nicht gut genug zu sein. Es nicht zu schaffen. Aber Er ist natürlich meine Nummer eins und ich schreibe es meine ganze Jugend über fast liturgisch in mein Tagebuch. Jesus, du bist das Wichtigste in meinem Leben. 

Meine Mutter sagt mir immer wieder, ich sei als wiedergeborene Christin direkt an die Quelle aller Liebe angeschlossen. Manchmal fühle ich sie, diese göttliche Liebe. Bei gefühlvollen Lobpreiszeiten in der Jugend ganz besonders. Aber mit jeder Geburtstagskerze wird es schwerer, dieses Gefühl und vor allem die Überzeugung, nur meine Religion sei heilsversprechend, herbeizuführen. Es ist schrecklich und ich leide immer mehr. Es geht hier schließlich nicht um die Vorliebe für einen Fußballverein. Es geht um Leben und Tod. Die Hölle ist ein realer, grausamer Ort für mich und meine freikirchlichen Freund:innen und bei Fehlverhalten die unumkehrbare Endstation. Der Druck der ständigen Schuld wird immer größer, dabei soll das Ganze doch die frohe Botschaft sein. Aber ich finde keine Freiheit. Ich fühle mich innerlich zerrissen, verdamme mich immer wieder selbst, „nicht mal das mit dem Glauben hinzukriegen”.

Ich gehe studieren. Das Theologiestudium bringt mein bisheriges Weltbild völlig ins Schwanken. Mein neuer Hauskreis gibt mir das Gefühl, ich würde geradezu daran Gefallen finden, kritisch über Glaubensdinge zu sprechen. Dabei ist es für mich ein grausamer, langsamer Tod. Jesus ist doch mein bester Freund, seit ich denken kann. Aber ich kann mich nicht mehr dagegen verwehren, kann nicht mehr gegen meine Zweifel anglauben weil ich zu viel falsche Lehre, Machtmissbrauch und Irrsinn sehe. 

Es folgen Jahre der Kritik und Ablehnung gegenüber Gemeinde und die Suche nach neuen Antworten fühlt sich an wie eine gefährliche Gratwanderung. Ich befinde mich gerade auf einer ruhigeren Etappe als mein zweites Kind mit Behinderung und schweren organischen Schäden geboren wird. Ich fühle mich allein wie noch nie und die letzte Hoffnung, dass dieses Spiel des Punktesammelns doch irgendwie funktioniert, zerbricht komplett. Es ist die Hölle und gleichzeitig ein Wendepunkt. Mir wird auf einmal klar, dass ich gerade in spiritueller Hinsicht mich nicht auf etwas stützen kann, was ich nicht mehr glaube, sondern vielmehr wissen muss, worauf ich mein Leben bauen will. Doch an was glaube ich noch? 

Jesus ist weder mein bester Freund noch mein Erlöser, denn ich bin radikal ausgestiegen aus diesem Gewinner-Verlierer-Spiel. Ich summe leise mein „Om“ auf meiner schwarzen Yogamatte und muss innerlich schmunzeln. Ich denke an meine Gemeinde. Ich weiß so genau, wie sie allein die Schilder des Yogastudios als Bedrohung ansehen, dem Ort der bösen Geister. Noch bis vor gar nicht langer Zeit hätte ich ein Studio niemals betreten. Zu groß ist die Angst vor Übergriffen der Dämonen, die hier angeblich wohnen und die dann sofort Macht über meine Gedanken übernehmen. Ich atme tief ein und atme aus. Ein und aus. Versuche in den Körper zu gehen, raus aus dem Kopf. Ich atme. Frieden macht sich breit. Ich atme Gott. Er muss viel größer sein als ein Buch oder menschliche Antworten. Schatten und Licht, ungeklärte Fragen, Leid und Liebe, Tod und Leben und vor allem auch Gott als großes Mysterium und genauso als menschliche Liebe – alles muss darin vereint sein. Heute bedeutet Spiritualität für mich mit diesem Paradox aller Dinge im Frieden zu sein, es wahrzunehmen und anzuerkennen und vor allem diesem Fluss zu vertrauen, bedingungslos. Ja und eine Katze besaß ich zwischenzeitlich auch. Meinen getigerten Kater liebte ich ganz genauso wie meinen Jonny damals.

Sarah

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